Menschliche Fortpflanzung:
Genotyp, Phänotyp und Mütterliche Effekte bestimmen, ob ein Mensch ein Mensch wird
Die natürliche Fortpflanzung des Menschen erfolgt bisexuell, d.h. ein Mensch entwickelt sich genetisch hauptsächlich aus der Vereinigung eines mütterlichen und eines väterlichen Chromosomensatzes bei der sogenannten Karyogamie, der Verschmelzung der Zellkerne zur Zygote. In den Zellen von Eukaryoten, zu denen neben Menschen auch Pflanzen, Tiere und Pilze gehören, ist der Großteil der DNA (Desoxyribonucleic Acid) im Zellkern als Chromosomen organisiert. Die DNA, als materielle Basis der Gene, ist also die Trägerin der Erbinformation. Ein kleiner Teil der DNA befindet sich allerdings außerhalb des Zellkerns im sogenannten Zytoplasma und zwar in den dort befindlichen Zellorganellen, die von einer doppelten Membran umgeben sind. Bei Pflanzen sind das die Plastiden, bei Tieren und Menschen die Mitochondrien.
Die DNA in den Mitochondrien, die sogenannte mitochondriale DNA (kurz mtDNA), von ihrer Gestalt her kreisförmig, ist zwar mit 16 000 Basenpaaren wesentlich kleiner als das Erbgut im Zellkern, das 3 Milliarden Basenpaare umfasst, aber die mtDNA leistet trotzdem einen wesentlichen genetischen Beitrag. Tatsächlich kann die Anthropologie – die Abstammungslehre des Menschen – die Abstammung von Mulier-Homo sapiens – dem sogenannten modernen Menschen – anhand der mtDNA aufgrund ihrer geringen Mutationsrate, 6000 Generationen zurück auf eine einzige Urmutter zurückführen. (Sykes, Bryan, 2001). Der Genotyp eines Menschen, die Gesamtheit der genetischen Information ist also einmal von den mütterlichen und väterlichen Genen im Zellkern bestimmt. Zusätzliche genetische Informationen erfolgen aber über die ausschließlich mütterlich vererbte DNA aus den Mitochondrien.
Neben dem Genotyp gibt es allerdings den Phänotyp. Der Phänotyp ist das Erscheinungsbild und bezeichnet in der Genetik die Menge aller Merkmale eines Organismus. Dabei bezieht sich der Phänotyp nicht nur auf morphologische, sondern auch auf physiologische Eigenschaften und auf Verhaltensmerkmale. Morphologisch bedeutet dabei die äußere Gestalt betreffend und physiologisch betrifft die inneren Stoffwechselvorgänge. Die amerikanische Soziobiologin Mary Jane West-Eberhard schreibt dazu, dass „die bloßen Gene zu den unfähigsten und nutzlosesten Materialien gehören, die man sich vorstellen kann“, weil „der Phänotyp des frühen Embryos allein von der Mutter determiniert wird“. (West-Eberhard, Mary Jane zit. in Blaffer Hrdy, Sarah, Mutter Natur, 2010, S. 97/98).
Die Befruchtung und die Verschmelzung der Gene im Zellkern ermöglichen nämlich noch keine Fortpflanzung.
„Tatsächlich entscheiden sogenannte Mütterliche Effekte darüber, ob ein Mensch ein Mensch wird“, schreibt die amerikanische Anthropologin Blaffer Hrdy in ihrem ersten Buch „Mutter Natur“ und ergänzt die Forschungen der Soziobiologin West-Eberhard, denn schon vor der Befruchtung ist die Eizelle eines Tieres oder einer Pflanze ein hoch organisierter und aktiver Phänotyp. Blaffer Hrdy konkretisiert:
„Man betrachte nur, was am Anfang eines Froschlebens passiert. Stunden nach der Befruchtung besteht die sich schnell teilende Blastula (das Anfangsstadium in der Entwicklung eines Tieres) bereits aus 4000 Zellen. Aber noch ist kein einziges Gen des Embryos aktiviert. Alle seine Instruktionen stammen von Hormonen und Proteinen, die in seinem Zytoplasma zirkulieren. Die anfängliche Entwicklung dieses neuen Individuums ist alles andere als genetisch determiniert, sondern in hohem Maße von der Verfassung seiner Mutter, ihrem Ernährungszustand oder ihrer Lebensgeschichte beeinflusst“. (ebenda, S. 97).
Kein Wunder, ist doch die Mutter die einzige Umwelt des Embryos.
Schauen wir aber nun auf physiologischer Ebene noch einmal genauer auf die Mütterlichen Effekte.
Die Eizelle, ihr Zytoplasma und die damit einhergehenden Mütterlichen Effekte
Die Eizelle oder Oocyte ist die weibliche Keimzelle zweigeschlechtlicher Lebewesen. Die Eizellen sind wesentlich größer als die männlichen Gameten. Beim Menschen ist die Eizelle hundertmal größer als die männliche Gamete, das Spermium, da das Spermium nur die Kern-DNA enthält. Eizellen sind hingegen nicht nur Zellen mit einem haploiden Chromosomensatz im Zellkern, sondern sie enthalten auch das Zytoplasma als zelluläre Umgebung in der sich zusätzlich noch die Zellorganellen befinden. Blaffer Hrdy schreibt.
„Die Eizelle enthält dagegen verschiedene Ingredenzien – den Zellkern und das Zytoplasma. Sobald sich das Spermium innerhalb des Eis befindet, werden von der Mutter übermittelte Anweisungen umgesetzt. Nährstoffe, die schon vor der Befruchtung gehortet wurden, versorgen den Embryo mit dem, was er für seine Entwicklung benötigt. Die Eizelle der Mutter stammt von Zellen ab, die schon vor der Befruchtung damit begonnen haben, sich zu teilen. Lange bevor es zu irgendeinem Kontakt zwischen Spermium und Eizelle kommt, sind durch die vier Teilungen aus der mütterlichen Urkeimzelle 16 Zellen geworden. Eine dieser Zellen lebt als eigentliche Eizelle weiter. Aus den anderen werden „Nährzellen“ – sie stellen Nährstoffe und andere Substanzen her, die durch das Zytoplasma transportiert werden (Alberts et al., 1994). Mit anderen Worten: Ehe die im Spermium enthaltenen Gene des Vaters auch nur aktiviert werden, steht die frühe Embryonalentwicklung bereits unter mütterlicher Kontrolle. Sobald die Eizelle eine Samenzelle akzeptiert, werden mütterliche Effekte in Gang gebracht. Das Protoplasma der Mutter leitet die Entwicklung des Embryos ein und gibt damit gleichzeitig den Startschuss für eine Vielzahl möglicher mütterlicher Effekte“. (Blaffer Hrdy, Sarah, ebenda, S. 96).
Den Mitochondrien als den Kraftwerken der Zellen kommt dabei eine weitere Schlüsselrolle zu, denn die Mitochondrien sind nicht nur durch ihre ausschließlich an die Mütter gekoppelte Genetik interessant, sondern auch physiologisch, denn die Hauptaufgabe der Mitochondrien ist die Produktion von Energie in Form von ATP (Adenosintriphosphat) innerhalb der sogenannten Atmungskette. Die Atmungskette ist ein Teil des Energiestoffwechsels der meisten Lebewesen. In der Atmungskette finden sogenannte biochemische Redoxreaktionen statt, die zur Energiegewinnung dienen. Diese Redoxreaktionen erfolgen durch Enzyme, welche in der inneren Mitochondrienmembran liegen und eine Kette bilden, über die Elektronen transportiert werden. Neben der Energieproduktion stellen die Mitochondrien Raum für den Ablauf von chemischen Auf-und Abbauprozessen zur Verfügung. So befinden sich in den Mitochondrien Enzyme, die für den Zitronensäurezyklus und den Fettstoffwechsel wichtig sind. Darüber hinaus dienen die Mitochondrien als Kalziumspeicher.
In den Mitochondrien aber auch im rauhen Endoplasmatischen Reticulum (ER)befinden sich zudem sogenannte Ribosomen. Ribosomen sind elementar wichtig für die Proteinbiosynthese, also den Eiweißstoffwechsel, da sie Bestandteil zweier „Übersetzungsfunktionen“ in der Zelle sind, der sogenannten Transkription und der Translation. Unter Transkription versteht man die Umschreibung der Nucleinbasen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin der doppelsträngigen DNA, welche den Zellkern nicht verlassen kann, in die einsträngige RNA, wo die Base Thymin durch die Base Uracil und der Zucker Desoxyribose durch Ribose ersetzt werden. Dieser Prozess der Transkription fungiert als Übersetzungsprozess des genetischen Codes der im Zellkern befindlichen DNA, welche durch die Basensequenz definiert wird. Unter Translation versteht man den anschließenden zweiten Übersetzungsprozess, in der die veränderte Basensequenz der RNA nun in die Aminosäurensequenz des Proteins übersetzt wird. Die Basensequenz der DNA stellt somit einen Code dar, der unter Vermittlung der ribosomalen RNA die Struktur spezifischer Proteine bestimmt. Bei diesem Vorgang der Informationsübertragung handelt es sich um den zentralen Prozess der Molekularbiologie und der kann nur erfolgen mithilfe der sich im Zytoplasma befindlichen Zellorganellen von denen auch der Golgi-Apparat eine zentrale Funktion innehat. Eine der Hauptfunktionen des Golgiapparats ist es, die entstandenen Proteine vom Endoplasmatischen Reticulum (ER)zu empfangen und umzuwandeln. Dazu werden die Proteine in kleinen Abschnürungen vom ER – den sogenannten Vesikeln – zum Golgi-Apparat transportiert und dort umgewandelt. Diese Transportweise mit Vesikeln soll verhindern, dass beim Transport durch das Zytoplasma Reaktionen ablaufen, die der Zelle schaden könnten. Nach der Umwandlung der Proteine im Golgi-Apparat, werden diese nun wiederum in Vesikeln – die jetzt vom Golgi-Apparat stammen – weiter zu ihrem Bestimmungsort geschickt.
Da nur die Eizelle über das Zytoplasma und die darin befindlichen Zellorganellen verfügt, wird nun auch verständlich, warum Soziobiologinnen wie Mary Jane West-Eberhard die Entstehung des Individuums als Mütterlichen Effekt definieren.
Embryonenschutzgesetz und die Einnistung des Embryos in den mütterlichen Organismus
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie sich gerade im Zuge von Klontechniken und Reproduktionsmedizin die grundrechtliche und bioethische Sichtweise auf den Embryo verändert. War bisher die herrschende Meinung, dass mit der Verschmelzung der Kerne von Eizelle und Spermium zur Zygote menschliches Leben entsteht, das sich von da an als Mensch weiterentwickelt und dem deshalb auch der Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 des Grundgesetzes zukommt, verändert sich diese Sichtweise zunehmend.
Wikipedia schreibt unter dem Begriff des Klonens:
„Allerdings ist auch in Deutschland die Ansicht im Vordringen begriffen, die den Lebensschutz des Grundgesetzes mit der Nidation, der Einnistung des Embryos in den mütterlichen Körper, einsetzen lässt. Das legen Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie nahe, nach denen eine Wechselwirkung zwischen Embryo und Mutterkörper erforderlich ist, damit sich der Embryo überhaupt zu einem Menschen entwickeln kann. Ohne diesen Impuls, die Nidation, entsteht niemals ein Mensch, der Embryo entwickelt sich gleichsam ins Nichts. Dieser Ansicht entspricht die geltende Rechtslage in Großbritannien“. (Wikipedia: Begriff: Klonen: 31. 1. 2018).
Shuttle-Service und Kooperation:
Weitere für das Patriarchat unbequeme Wahrheiten über die Fortpflanzung
Beschäftigen wir uns noch weiter mit interessanten wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich der Befruchtung:
2014 wurde im Westdeutschen Rundfunk des Deutschen Fernsehens der Film „Der Spermien-Mythos“ ausgestrahlt, der unter Mitwirkung des Kinderwunschzentrums in Darmstadt entstand, allerdings heute im Netz nicht mehr verfügbar ist. In dem Film werden einige der Mythen um die Spermien und die Befruchtung völlig anders dargestellt, als wir gemeinhin in der Schule gelernt haben. Unter Pravda TV findet sich auch heute noch eine gute Zusammenfassung des Films, die Johanna Bayer zusammengestellt hat und an dieser Stelle wiedergegeben werden soll. (https://www.pravda-tv.com/2014/03/der-spermien-mythos-video/#jOS6A03Lez7IUCex.99).
Johanna Bayer schreibt:
Mythos 1: Sie schwimmen
„Spermien schwimmen nicht durch die Gebärmutter. Ihre Geißel, mit der sie in einer schraubenden Bewegung schlagen, dient nicht zur Überwindung großer Distanzen, sondern zum Eindringen ins Ei. Bis zu diesem Zeitpunkt bewahren sie ihre Energie auch lieber auf – richtig aktiv werden sie erst im Eileiter, wenn das Ziel unmittelbar bevorsteht. Die riesige Strecke von der Scheide, wo sie landen, bis zum Ei, könnten sie auch gar nicht so einfach überwinden. Spermien gehören zu den kleinsten Körperzellen, sie sind nur 0,06 Millimeter groß. Im Körper der Frau liegt eine Strecke von 12 bis 15 Zentimetern vor ihnen, bis sie das reife Ei erreichen. Müssten sie schwimmen, wäre das eine schwere Herausforderung: Rechnet man die Distanzverhältnisse auf einen erwachsenen Mann von 1,80 Metern um, müsste dieser rund 5,5 Kilometer Dauerschwimmen – mehr als beim härtesten Triathlon! Doch schon zehn Minuten nach der Ankunft in der Scheide können die ersten Spermien am Eileiter eintreffen; aus eigener Kraft könnten sie das gar nicht schaffen.
Mythos 2: Bequem wie im Shuttle-Service
Stattdessen sorgt die Gebärmutter für den Transport: Wie Forscher vom Uniklinikum Darmstadt schon vor Jahren eindrucksvoll zeigen konnten, schieben gezielte Muskelkontraktionen der Gebärmutter die Spermien im Gebärmutterschleim nach oben Richtung Ei. Denn der Eileiter, in dem gerade ein reifes Ei sitzt, aktiviert die entsprechende Seite der Gebärmutter, so dass sich die Muskeln zusammenziehen und die Spermien wie mit einem Shuttle-Service transportieren. Auch den Aufstieg von der Scheide in die Gebärmutter erledigen die Spermien nicht selbst: Der Gebärmutterhals saugt die Spermien an und so gelangen sie nach oben in den schützenden, nährenden Schleim des Gebärmutterhalses. Hier können sie fünf bis sieben Tage überleben, und von hier aus treten sie ihre Reise an.
Mythos 3: Kampf und Konkurrenz
Zwischen 40 und 600 Millionen Spermien kommen in der Scheide an – doch nur wenige Tausend erreichen den Eileiter. Doch nicht die Spermien bekämpfen sich gegenseitig, um den Besten auszulesen. Das Gros bleibt buchstäblich auf der Strecke, weil es die Reise durch die Gebärmutter nicht übersteht. Denn in der Gebärmutter sind sehr viele Immunzellen aktiv, die Feinde und Eindringliche abwehren sollen. Die Immunzellen stürzen sich auf alle Fremdkörper – und auch Spermien sind Fremdkörper. Die meisten Spermien aus dem Ejakulat werden also vernichtet, das ist vermutlich ein Grund dafür, dass eine solche Menge zur Verfügung gestellt wird. Es gibt aber auch interessante Beobachtungen, wie sich die Spermien verhalten: Viele von ihnen, ein Drittel in jedem Ejakulat, können sich gar nicht bewegen. Sie scheinen nutzlos zu sein, aber ihre Aufgabe könnte darin liegen, eben jene Immunzellen zu beschäftigen! Je mehr Spermien-Masse, desto mehr haben die Abwehrkörper zu tun – und desto mehr kommen durch. So stellt sich in Wahrheit die Aufgabe der Spermien nicht als Wettkampf gegeneinander dar, sondern als Kooperation! Im Schutz der Masse gelangen genügend lebensfähige, bewegliche Spermien von der Gebärmutter bis zum Ei.
Mythos 4: Nur der Beste gewinnt
Nur ein einziges Spermium dringt ins Ei ein und befruchtet es – doch das heißt nicht, dass nur ein einziges das Ei erreicht, und dass dieses das schnellste und kräftigste Spermium der Menge ist. Stattdessen landen Hunderte von Samenzellen im Eileiter, wo die Umgebung für sie günstiger ist als in der Gebärmutter: Hier durchlaufen sie einige Veränderungen, die sie aktiver machen, so dass ihre Geißel viel schneller schlägt. Das Ei selbst kommt ihnen entgegen, gefächelt von kleinen Härchen des Eileiters. So schaffen es die Spermien, im Eileiter eine winzige Strecke von einem bis zwei Zentimetern selbst zu überwinden, unterstützt noch durch Kontraktionen der Eileiterwand, die sie voran-schieben. Das Ei sendet außerdem Lockstoffe aus, die chemisch auf die Köpfe der Spermien wirken, so dass sie sich zum Ei ausrichten. Zwei- bis dreihundert Spermien können sich so auf das empfängnisbereite Ei stürzen.
Realität: Alle für einen
Das Ei ist von einer Wolke von Zellen umgeben – diese Außenschicht gilt es nun zu knacken. Eine Samenzelle alleine könnte diese Hülle nicht durchdringen, sagen Experten: Die Hauptaufgabe der vielen im Team arbeitenden Spermien ist es, die Außenschicht des Eies aufzulösen. Genau dazu dienen auch die Schläge mit der Geißel – nicht zur Fortbewegung. Wenn die Hülle schließlich nachgibt und einreißt, so ist es purer Zufall, welches Spermium hineingelangt. Es ist weder das Schnellste noch das Beste, auch nicht das, das sich gegen andere durchgesetzt hat – sondern das Spermium, das zufällig gerade an der richtigen Stelle sitzt. Vielleicht ist es auch eines, das gerade erst angekommen ist und noch frische Kräfte hat, um zu bohren. Auch hier siegt also das Team: Das Wunder der Befruchtung ist ein Wunder an Kooperation“.
Von männlichem Samen, der Mütter zu passiven Gefäßen des Mannes degradiert
Umgangssprachlich werden die männlichen Gameten beim Menschen – die Spermien – immer noch als Samen und ein männlicher Orgasmus als Samenerguss bezeichnet. Diese Begrifflichkeiten führen in die Irre, denn der Begriff Same kommt aus der Botanik. Dort ist der Same die charakteristische Verbreitungseinheit der sogenannten Spermatophyten. Spermatophyten sind eine Gruppe im Reich der Pflanzen, welche Samen als Ausbreitungsorgane bilden. Sie bilden Samen, die den Embryo geschützt in mütterlichem Gewebe (Samenschale) enthalten Der Same besteht aus der Samenschale, dem Nährgewebe, dem sogenannten Endosperm und einem bereits fertigen Embryo im Ruhestadium.
Dass es sich beim Spermium des Menschen nicht um eine Zelle mit einem fertigen Embryo handelt, ist heute hinlänglich bekannt, aber dennoch prägt dieses Denken des „aktiven Mannes“, der das Kind mit seinem Samen zeugt, was impliziert, dass der Mann der Erzeuger des Kindes ist, bis heute die Gesellschaft. Der Frau, der Mutter wird die Rolle eines passiven Gefäßes zugeteilt.
Blaffer Hrdy beschreibt in ihrem ersten Buch „Mutter Natur“ die langjährige Interpretation patriarchaler Naturwissenschaftler über menschliche Fortpflanzung, die bis 1925 annahmen, dass allein die Männchen den Verlauf der Evolution bestimmten. Sie schreibt:
„Im späten 17. Jahrhundert meinten Wissenschaftler beim Blick durch das Mikroskop im Inneren einer menschlichen Samenzelle einen Miniaturmenschen, einen kleinen „Homunkulus“ zu erkennen, der dort zusammengekauert darauf wartete, im weiblichen Schoß abgelegt zu werden. Selbst noch nach 1827, als der Embryologe Karl Ernst von Baer die Eizelle von Säugetieren erstmals genauer beschrieben und seine Kollegen davon überzeugt hatte, dass in den weiblichen Uterus keine fertigen Menschen eingepflanzt würden, nahm man weitere hundert Jahre an, dass allein die Männchen den Verlauf der Evolution bestimmten. Mütter steuerten zwar Eizellen bei, galten aber immer noch als passive Gefäße, die darauf warten, dass die Männchen ihre Lebenskraft an sie weitergeben“. (Blaffer Hrdy, Sarah, Mutter Natur; 2010,S. 96).
Tatsächlich entstand diese Idee der „passiven Gefäßmutter“ nicht erst im 17. Jahrhundert, sondern schon viel früher. Wikipedia schreibt – leider ohne weitere Literaturangabe‑, dass die falsche Vorstellung, dass der männliche Same bereits der Mensch in nuce sei, der im Mutterleib quasi wie in einer Nährlösung nur noch heranzureifen brauche, aus dem alten Ägypten stammt. Unter dem ungenauen Begriff „altes Ägypten“, wird in der Regel das pharaonische Ägypten gemeint, das sich tatsächlich durch ein krasses Patriarchat auszeichnet, geht doch die weibliche Genitalverstümmelung als sogenannte „pharaonische Beschneidung“ ebenfalls auf die Herrschaftszeit der Pharaonen zurück. Aber auch dem von den Geisteswissenschaftlern bis heute hoch geschätztem Aristoteles (384 – 322 v.u.Z.) wird die Aussage zugeschrieben, dass
„der Vater als ganzer Mensch den Samen beiträgt, wogegen die Mutter nichts weiter ist als die Erde, in welcher der Samen wächst“. (www.womenpriests.org/de/traditio/inferior.asp)
Natürlich nahmen die Kirchenväter, welche, das monotheistische Vatergott-Patriarchat durchsetzen wollten, diese Sichtweise des „hochgeschätzten Philosophen“ als Steilvorlage und schrieben auch im Neuen Testament der Bibel diese Interpretation des weiblichen Körpers als Gefäß des Mannes fest, nachdem ja schon im Alten Testament, in den fünf Büchern Mose – welche die Grundlage aller drei monotheistischen Theologien ist, der Same Abrahams mit der Nachkommenschaft und damit mit unilinear patrilinearer Abstammung gleichgesetzt wird. In der unsäglichen Geschichte, in der der mörderische monotheistische Vatergott den Gehorsam Abrahams einfordert, indem er ihn auffordert seinen einzigen geliebten Sohn Isaak als Brandopfer zu opfern, – was erst in letzter Minute in ein Widderopfer umgewandelt wird – lesen wir.
„Und der Engel des Herrn rief Abraham ein zweites Mal vom Himmel her zu und sprach: Ich schwöre bei mir selbst, spricht der Herr, deshalb, weil du das getan und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast, darum werde ich dich reichlich segnen und deine Nachkommen überaus zahlreich machen wie die Sterne des Himmels und wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist, und deine Nachkommenschaft wird das Tor ihrer Feinde in Besitz nehmen. Und in deinem Samen werden sich segnen alle Nationen der Erde dafür, dass du meiner Stimme gehorcht hast“. (1. Mose 22, 15 – 19).
Und im Neuen Testament wird dann die zweite Seite der patriarchalen Medaille – der Same des Mannes als Nachkommenschaft und der Körper der Frau als passives Gefäß wiederaufgenommen und zwar im 1. Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher.
„Denn ihr wisst, welche Weisungen wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. Denn dies ist Gottes Wille eure Heiligung, dass ihr euch von der Unzucht fernhaltet, dass jeder von euch sich sein eigenes Gefäß in Heiligkeit und Ehrbarkeit zu gewinnen wisse, nicht in Leidenschaft der Lust wie die Nationen, die Gott nicht kennen“. (1. Thessalonicher 4, 2 – 6).
In der Anmerkung zu dem Ausdruck „Gefäß“ finden wir in der Elberfelder Bibel explizit die Erklärung, dass sich das Wort „Gefäß“ auf den Leib, respektive auf den Leib der Frau bezieht.
Lügenwut
Auch wenn die Naturwissenschaften heute nicht mehr davon ausgehen, dass der Same des Mannes bereits den fertigen „Homunculus“ enthält, so sehen wir doch, dass diese tief misogyne Sichtweise in der Gesellschaft tief verankert ist und diese prägt. Große Stützen des Patriarchats sind dabei alle fünf Welttheologien, auch weil die theologische Misogynie durch den staatlich garantierten Schutz der „Religionsfreiheit“ immer weiter fortgeführt werden kann. Mit dem nicht angewandten Antidiskriminierungsgesetz schützt Vater Staat aus „Traditionsgründen“ zudem die Misogynie der Theologien und es gibt keine gesetzliche Handhabe, gegen das täglich mantrahaft wiederholte Bild der „Mutter als Magd des Herrn“, wie es im Katholizismus propagiert wird, oder gegen das „Bild der abgeschafften Mutter“, im Protestantismus, dem der Mythologische Muttermord zugrunde liegt, vorzugehen, genauso wenig wie gegen die Misogynie im Judentum, Islam, im Buddhismus oder Hinduismus. (Armbruster, Kirsten: 2010).
Angeblich „göttliche Autorität“ schützt die Patriarchen vor der Abschaffung des Patriarchats.
Würde man sich allerdings mit den Ergebnissen der Patriarchatskritikforschung beschäftigen, würde sofort klar, dass die Erfindung der Götter und ihrer Theologien einzig und allein den Zweck hatten, die älteste Religion von Gott MUTTER zu vernichten, sie durch eine falsche Geschichtsschreibung vergessen zu machen und den Mann als Vater mit göttlicher Autorität auszustatten, ein Bild an dem dank erfundener göttlicher Autorität bis in alle Ewigkeit nicht mehr gerüttelt werden soll. Welch krankes Bild von Vaterschaft dabei geschaffen wurde, wird überdeutlich an der oben zitierten Stelle aus dem Alten Testament, wo Gott-Vater von Abraham Gehorsam bis zum Mord seines geliebten Sohnes fordert und zudem in der Kombination von Besitz und Feindbildern den Krieg, die gewaltbasierte Durchsetzung des Patriarchats, gleich noch mit theologisch legitimiert.
Tatsächlich dienen aber nicht nur die Geschichtslüge und die Mann-Gott-Theologielügen der patriarchalen Lügenkriegsfront, sondern auch die Evolutionsbiologie (siehe Essay: Armbruster, Kirsten: „Die Evolution frisst keine Kinder“ LINK) und die Biologie selbst werden dazu missbraucht, um ein dem Patriarchat dienendes Gesellschaftsbild mit einem dienenden Mutterbild weiter zu verfestigen. Wer kann angesichts der hier in diesem Essay aufgezeigten Wichtigkeit der Mütter für die Lebensentstehung, welche die angebliche bipolar-geschlechtliche Gleichordnung von Vater und Mutter komplett aushebelt, noch eine Väterrechtssprechung legitimieren, welche, die Fortpflanzungs-Lebensinvestition eines Vaters mit der einer Mutter gleichsetzt? Das ist ein den neusten Erkenntnissen der Evolutionsbiologie und der Biologie wiedersprechender Justizskandal. Auch hier haben wir – wie bei der stattlich garantierten „Religionsfreiheit gegenüber misogynen Theologien“ ein patriarchatssystemimmanentes Zusammenwirken mit Vater Staat, der sich immer schützend vor das Patriarchat stellt.
Väter sind biologisch wichtig, vätertaugliche, soziale Väter sind wunderbar, aber sie können nur ein Teil sein eines größeren Kollektivs, eines Kollektivs von vielen Menschen, die sich aufgrund des evolutionsbiologisch verankerten kooperativen Aufzuchtverhaltens des Menschen um die MUTTER, die mehr als 90 % der Lebensinvestition bei der Fortpflanzung leistet, gruppieren müssen, um die nächste Generation geschützt aufwachsen zu lassen. Die Paarungsfamilie und die auf ihr gegründete theologisch und staatlich sanktionierte Ehe sowie die damit festgezurrte angebliche Geschlechterpolarität, die auch tiefes Leid für alles diverse Leben jenseits der Geschlechterpolarität impliziert, wie Intersexualität und Transsexualität, diese Paarungsfamilie und die damit einhergehende „Heilige Hochzeit“ ist das Kernstück des Patriarchats. Diese Paarungsfamilie entspricht nicht der Natur des Menschen, sondern bildete sich – wie Gerhard Bott in seinen Veröffentlichungen nachgewiesen hat (Bott, Gerhard 2010 und 2014), erstmals im Laufe des Neolithikums und ihr einziger Zweck war – genauso wie bei den Theologien – die Herrschaft des Vaters, das Patriarchat durchzusetzen.
Es ist höchste Zeit das Herrschaftssystem des Patriarchats zu durchschauen und damit einhergehende festgeschriebene Gesellschaftsbilder zu verändern!
Literatur
Alberts, Bruce, Dennis Bray, Julian Lewis, Martin Raff, Keith Roberts und James D. Watson: Molecular Biology of the Cell, 1994
Armbruster, Kirsten: Gott die MUTTER – Eine Streitschrift wider den patriarchalen Monotheismus, 2013
Armbruster, Kirsten: Das Muttertabu oder der Beginn von Religion, 2010
Bott, Gerhard: Die Erfindung der Götter; Essays zur Politischen Theologie, Band 1 und 2: 2009 und 2014
Blaffer Hrdy, Sarah: Mutter Natur, 2010
„Mehr über das in den letzten Jahren explosionsartig gestiegene Interesse an mütterlichen Effekten
findet sich bei Pennisi 1996; Fox, Thakar und Mousseau 1997; für einen ausführlichen Überblick siehe Rossiter 1996 sowie Mousseau und Fox, 1998“. (Literaturangaben aus Blaffer Hrdy, Mutter Natur, 2010, S. 631)
Sykes, Bryan: Die sieben Töchter Evas; Warum wir alle von sieben Frauen abstammen – revolutionäre Erkenntnisse der Gen-Forschung, 2003
West-Eberhard, Mary Jane: Phenotypic plasticity and the origins of diversity, Annual Review of Ecology and Systematics, 1989, 20, S. 249 – 278