#metoo und weibliche Sexualität
Unter der sehr wichtigen #metoo-Debatte zu systemimmanenter, sexualisierter Gewalt gegen Frauen liegt verdeckt und verborgen ein wunderbarer Schatz: Die unbändige Kraft der freien, weiblichen Sexualität. Ich hatte dazu vor einigen Tagen eine Facebook-Diskussion angeregt, die begeistert angenommen wurde. Mir ist dabei klar geworden: Das ist ein wichtiges Thema.
Wir schreiben über Gewalt und Unterdrückung von Frauen. Dabei fragen wir nicht tiefer, warum das so ist, warum überwiegend Frauen derart gewaltsam in ihrer Körperlichkeit angegangen und degradiert werden und warum alles, was die menschliche und besonders die weibliche Sexualität ausmacht, damit pervertiert wird (z.B. über Prostitution und Porno).
Das Patriarchat reglementiert und pervertiert weibliche Sexualität
Genau an dieser Stelle wird deutlich, dass wir – auch wenn manche meinen, es wäre nicht mehr so – nach wie vor in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen leben. Ein wesentliches Ziel des Patriarchats ist es, Kontrolle über die weibliche Sexualität zu erlangen und diese zu halten. Dies dient insbesondere dazu, den weiblichen Körper auf ganz verschiedenen Ebenen zu instrumentalisieren.
- Ganz besonders dient es dazu, Kontrolle über die Gebärfähigkeit von Frauen ausüben zu können und die von Frauen geborenen Kinder zu vereinnahmen.
- Darüberhinaus dient es ebenfalls dazu, den weiblichen Körper als Befriedigungs-Maschinerie für Männer funktionsfähig und verfügbar zu halten.
- Und obendrein dient es dazu, weibliche Sexualität in eine reine Zweckerfüllung einzuzwängen, die darin liegt, fruchtbar zu sein und der Gesellschaft Kinder zu schenken.
- Die Verantwortung für die Kinder wird wiederum größtenteils den vereinzelten und isolierten Müttern als überfordernde Aufgabe allein überlassen – ohne entsprechende Unterstützung, Anerkennung oder gar Bezahlung dieser gesellschaftlich herausragend wichtigen Leistung.
Frauen sind doch längst frei in ihrer Sexualität, oder?
Was Frauen wollen, wie freie, weibliche Sexualität sich darstellt, wie lustvoll und lebendig und zweckfrei sie daherkommen kann, gerät darüber in Vergessenheit.
- Einerseits haben wir zwar inzwischen die Möglichkeit, Empfängnis zu verhüten. Einen hohen Preis dafür zahlen aber auch hier wiederum vor allem die Frauen, die über Jahre Hormone schlucken oder implantieren mit häufig negativen Folgen.
- Einerseits fördert der Staat Geburten. Andererseits wird Frauen die Bestimmung über ihren Körper und eine optimale Betreuung vor, während und nach der Geburt immer weiter beschnitten. Ganz besonders wird ihnen dabei ihr Gefühl für die Kraft ihres Körpers genommen.
- Einerseits haben sich Frauen angeblich schon längst sexuell befreit. Andererseits erfahren Frauen, die ihre Sexualität offen frei leben, nach wie vor massive gesellschaftliche Ächtung.
- Einerseits wird das Tabu rund um die Menstruation von Frauen immer weiter aufgeweicht. Andererseits darf Frau und Menstruation kaum noch gemeinsam genannt werden. Stattdessen sollen wir nun „menstruierende Personen“ sagen und machen damit ein spezifisches Merkmal weiblicher Körperlichkeit wieder unsichtbar.
- Einerseits reden wird von körperlicher Vielfalt. Andererseits werden nach wie vor besonders Frauen optimierte Körperbilder auferlegt. Die immense Vielfalt weiblicher Körperlichkeit wird immer wieder in die Unsichtbarkeit gedrängt.
Die Vielfalt der Darstellung weiblich-mütterlicher Körper in der Frühzeit des Menschen
Wenn wir nun zurückgehen in die Frühzeit des Menschen, sehen wir uns auf einmal mit einer immensen Vielfalt weiblicher Körperlichkeit und Sexualität konfrontiert. Der weiblich-mütterliche Körper wird in allen erdenklichen Varianten dargestellt und erscheint präsent, lustvoll und kraftvoll. Dabei spielt insbesondere auch die Vulva eine entscheidende Rolle und taucht immer und immer wieder auf. Diese so offenliegende weiblich-sexuelle Körperlichkeit führte dazu, dass die männlich dominierte Archäologie diese Darstellungen u.a. als Pin-Ups fehlinterpretierte. Dabei zeigen die Art der Darstellung und auch die Art und Beschaffenheit der Fundorte und anderer Fundstücke, dass es sich um den Menschen heilige Figuren und Themen handelte. Weibliche Sexualität und Mütterlichkeit war heilig, weil aus der Frau und aus den weiblichen Tieren die Kinder geboren wurden.
Die Mutter stand für sich
Was außerdem auffällt ist, dass die Frauen- und Mutterdarstellungen sehr lange Zeit gänzlich ohne Kinder auskommen. Das Frauen- und Mutterbild muss also insgesamt ein völlig anderes gewesen sein, als das, das wir heute kennen. Eine Frau war als Mutter nicht nur etwas wert, wenn sie ein Kind geboren hatte. Ihr Wert wurde nicht über den sichtbar dargestellten geborenen Sohn bestimmt, wie später bei den Mariendarstellungen. Diese Legitimation brauchte sie nicht. Sie war für sich, in ihrer vielfältigen Körperlichkeit und Präsenz und mit den Fähigkeiten ihres Körpers ausreichend, geschätzt und sogar heilig. Das bedeutet im Umkehrschluss: Die Instrumentalisierung des weiblichen Körpers als fruchtbare Gebärmaschine oder als verfügbares Erregungs- und Sexspielzeug für Männer ist eine „Erfindung“ des Patriarchats und hat mit der ursprünglichen Sexualität des Menschen sehr wenig zu tun. Gerade aus diesem Grund ist die Interpretation der Gott MUTTER Darstellungen als Pin-Ups oder Spielzeug entlarvend für die patriarchale Ausrichtung der Archäologie. Ich möchte das mal so frech formulieren: Sie haben einfach nicht richtig hingesehen und mit ihrer Brille, die von Porno geprägt ist, interpretiert. Die frauenfeindliche und fraueninstrumentalisierende Haltung wird darin deutlich sichtbar. Diese Haltung gab es ganz offensichtlich in der Steinzeit nicht.
Sexualität war nicht an Fortpflanzung gekoppelt
Wir können davon ausgehen, dass Sexualität in der Frühzeit des Menschen losgelöst von Fortpflanzung gesehen wurde. Es war nicht wirklich klar, dass durch Sex eine Schwangerschaft und in Folge ein Kind entsteht. Der sexuelle Akt war (und ist) – im Gegensatz zu Schwangerschaft und Geburt – ein sehr kurzer Zeitraum. Wenn wir uns vorstellen, dass Sexualität von Fortpflanzung entkoppelt war, können wir uns weiter vorstellen, dass dadurch die Aufladung von Sex als etwas extrem bedeutsames, wichtiges nicht vorhanden war. Es wird wahrscheinlich eher wie die Befriedigung anderer elementarer menschlicher Bedürfnisse wie Hunger, Müdigkeit, Durst gehandhabt und gesehen worden sein. Die Menschen gingen diesem Bedürfnis nach, interpretierten aber kein größeres Etwas oder gar etwas Heiliges in den sexuellen Akt hinein. Es war keine „heilige Pflicht“, wie in der heutigen christlichen Ehe. Es war eine lustvolle, freudvolle Beschäftigung – nicht mehr und nicht weniger. Auch „Liebe“ war wahrscheinlich nicht mit Sex gekoppelt. Menschliche Zuwendung, Zärtlichkeit und die für den Menschen lebensnotwendige Verbindung und Kooperation mit anderen Menschen erfuhr der/die einzelne in seiner/ihrer blutsverwandten Sippe. Es war daher nicht nötig, die körperliche Nähe beim Sex in ihrer Bedeutung zu überhöhen.
Genau das wird wohl einer der Gründe gewesen sein, dass erst aus 8.000 v.u.Z. die Darstellung eines sexuellen Aktes zwischen zwei Menschen bekannt ist. Berührend ist für mich die Art und Weise, wie Sex hier dargestellt wird. Es ist keine Hierarchie oder Rollenzuschreibung erkennbar. Noch nicht mal eine klare Geschlechtlichkeit ist den verschlungenen Figuren zuzuweisen. Es wirkt auf mich wie eine sehr gleichrangige, genussvolle, ruhige und zarte Form von Sex. Und auch hier wird in keinster Weise eine Koppelung zu Fortpflanzung vorgenommen. Der sexuelle Akt steht für sich.
Perspektiven für heute
Was bedeutet all das für uns heute? Was können wir lernen und mitnehmen aus diesen Erkenntnissen?
- Wir können uns fragen, ob es sich nicht lohnen würde, auch heute wieder Sexualität von Partnerschaft zu entkoppeln. Nicht ohne Grund schläft Sexualität zwischen langjährigen Partnern ein. Nicht ohne Grund haben Frauen nach spätestens 5 Jahren keine Lust mehr auf Sex mit ihren Männern und/oder Männer haben keine Lust mehr auf ihre Frauen. Der Mensch ist ursprünglich nicht monogam angelegt. Sex mit Partnerschaft und Liebe zu koppeln, übt großen Druck auf beide Partner aus. Unterschwellig spüren viele, dass sie dem Ideal der lebenslangen (sexuellen) Treue nicht gerecht werden können. Und die Forschung bestätigt, dass diese Form der Sexualität dem Menschen nicht entspricht.
- Gerade die weibliche Sexualität kann für beide Geschlechter zu einem Wegweiser für wirklich befriedigende Sexualität werden. Freie, weibliche Sexualität ist lustvoll und zweckfrei. Sie strebt keine Herrschaft an, sondern Genuss und Befriedigung elementarer Bedürfnisse. Dabei bestimmt in der Regel die Frau die Wahl des Sexualpartners über die „female choice“. Die female choice reguliert und beschränkt sowohl die Häufigkeit von Sexualkontakten, als auch die (genetisch) optimale Wahl des Partners. Dadurch bleibt die Populationsdichte im Rahmen und eine optimale genetische Vielfalt ist gewährleistet. Ein Ausbrechen aus dem patriarchalen Muster, dass der Mann die Frau dominant „nimmt“ und bestimmt, macht also Sinn. Es macht ebenso Sinn, dass Frauen aus den patriarchalen Reglementierungen, die ihre Sexualität massiv einschränken, ausbrechen und wieder selbst über ihren Körper und ihre Lust bestimmen und diese nicht von männlichen Bedürfnissen bestimmen lassen.
- Wenn Menschen aus patriarchalen und theologischen Reglementierungen der Sexualität ausbrechen und sich wagen, mit den Menschen einvernehmlichen Sex zu haben, wann und mit wem sie gerade wirklich Lust haben, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass gewaltsame Formen von Sexualität abnehmen. Porno und Prostitution sind eine patriarchale Verdrehung von Sexualität, die Gewalt gegen Frauen legitimiert. Gleichzeitig wird über diese Verdrehung auch Männern eine Rolle des ewig potenten, leistungsfähigen „Sexgottes“ zugewiesen, die die Sexualität von Männern pervertiert und degradiert. Es muss allen bewusst werden, dass die vermittelten Bilder von Sexualität aus Porno und Prostitution ausnahmslos ALLEN Geschlechtern schaden.
Entdecken wir den verborgenen Schatz der freien, weiblichen Sexualität wieder, indem wir die patriarchalen Überlagerungen und Zerstörungen durchblicken. Das kann gelingen wenn wir die vorpatriarchale Geschichte der Menschheit wieder erkennen und verstehen.