Der Wechsel vom Lebensbild der Natürlichen Integrativen Ordnung der Mutter zu einer auf männlicher Hybris beruhenden hetero-polaren theologischen Weltordnung als erster Phase der Patriarchalisierung
Die obige Abbildung aus Catal Höyük in Anatolien in der Türkei, die auf circa 6500 v.u.Z. und damit circa 500 Jahre nach dem Beginn der Rinderdomestikation (7000 v.u.Z.) datiert wird, markiert mit der menschengeschichtlich ersten Darstellung von Vaterschaft als bilinearer Abstammung eine Kulturrevolution, da sie erstmals biologische Vaterschaft der Mutterschaft gegenüberstellt. Nicht zufällig geht die erste Darstellung von Vaterschaft in der Geschichte der Menschheit einher mit dem Bild einer Mutter mit Kind auf dem Arm, denn Vaterschaft ist im Gegensatz zu Mutterschaft in der Natur nicht offensichtlich, muss also explizit markiert werden.
Für uns ist die obige Darstellung eine vertraute und scheinbar schlüssige Darstellung, weil wir mit der geschlechterpolaren Vater-Mutter-Kind-Indoktrinierung des Patriarchats groß geworden sind. Tatsächlich bedeutet sie aber einen Bruch mit der Natürlichen Integrativen Ordnung der Mutter, suggeriert sie doch, dass Vater und Mutter zu gleichen Teilen an der Entstehung eines Kindes beteiligt sind, was aber nicht den biologischen Tatsachen entspricht. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Das ist nicht männerfeindlich, sondern für uns nur auf den ersten Blick ungewohnt, weil patriarchatsfremd!
Die biologischen Tatsachen zeigen, dass eine Mutter 99 % zur Entstehung eines Kindes beiträgt, nicht nur dadurch, dass der Liebesakt und die Schwangerschaft in ihrem Körper stattfinden, und auch die Ernährung des Säuglings über ihren Körper sicher gestellt ist, sondern auch – wie wir heute wissen – durch die Mütterlichen Effekte, die besagen, dass der Mann zwar über sein Spermium einen halben Chromosomensatz zur Entstehung eines Kindes beiträgt, ansonsten aber alle biologischen Syntheseprozesse durch das Zytoplasma der Eizelle initiiert werden, da das Spermium selbst nicht über Zytoplasma und die darin verankerten Zellorganellen verfügt (siehe Mutterbiologische Tatsachen). Der Mann ist als Liebhaber im heterosexuellen Liebesakt das Gegenüber der Frau, aber er ist nicht als biologischer Vater das Gegenüber der biologischen Mutter. Die obige Darstellung ist also die Kernlüge des Patriarchats.
Die biologischen Tatsachen:
Die Entstehung der Vielfalt menschlichen Lebens – weiblichen, männlichen, intersexuellen und transsexuellen Lebens mit allen Variationen erfolgt zu 100 % im Körper der Mutter. Das ist die Natürliche Integrative Ordnung der Mutter, an die menschliches Leben gebunden ist, weshalb Religion immer nur eine Religion von Gott MUTTER sein kann. Biologische Vaterschaft im Sinne einer geringen Beteiligung des Mannes an der Entstehung neuen Lebens durch den Liebesakt gab es natürlich schon immer, aber der Mann definierte sich im Paläolithikum und im Modus I des Neolithikums– anders als im Patriarchat – nicht über seine biologische Vaterschaft, weil für alle ja offensichtlich war und natürlich auch heute noch ist, dass der größte Teil der Generationenfolge durch die Mutter erfolgt.
Die Kernlüge des Patriarchats:
Diese Kernlüge des Patriarchats versucht die durch die Natur vorgegebene Heiligung der Mutter in der Religion von Gott MUTTER zu ersetzen durch die Heiligung der ausschließlich heterosexuellen Sexualität. Das heutige, allgemein verankerte, ausschließlich polare Geschlechterdenken, das mit Homophobie und der Diskriminierung der Varianz von Intersexualität und Transsexualität einhergeht, nimmt mit der ideologischen Implementierung von biologischer Vaterschaft ihren Anfang und ersetzt im Laufe der zunehmenden Patriarchalisierung die Natürliche Integrative Ordnung der Mutter durch die Heiligung des heterosexuellen Paares. Parallel entstehen die ersten männlichen Götter und Gott MUTTER, in der alle Naturerscheinungen ursprünglich vereint waren, wird im Laufe des Neolithikums aufgespalten in viele Göttinnen. Durch die vielen Abspaltungen wird sie geschwächt und schließlich durch den Mythologischen Muttermord ganz abgeschafft. (Armbruster, Kirsten, 2010, S. 127 – 162).
1.1 Die Heiligung des heterosexuellen Paares und die Entstehung männlicher Götter
Dass die erste Verschiebung in Richtung eines patriarchalen Wandels mit der Herdendomestikation von Tieren beginnt und nicht zufällig ab dieser Zeit männliche Götter auftauchen, können wir an den obigen Darstellungen ablesen. Im Archäologischen Museum in Şanliurfa (Urfa), in der Nähe von Göbekli Tepe, ebenfalls in der Türkei, finden wir eine mit 2 m überlebensgroße Steinfigur eines nackten Mannes, der mit den Händen seinen Penis umfasst. Der Mann von Şanliurfa wird auf 8500 v.u.Z. datiert und kann als erster männlicher Gott in der Menschheitsgeschichte interpretiert werden. Nicht zufällig umfasst er seinen Penis, denn das Verständnis männlicher Göttlichkeit ist aufs engste korreliert mit der Institutionalisierung männlicher Fruchtbarkeit, die sich in einem Phallus- und Ejakulatskult niederschlägt, denn der erigierte Penis schüttet ja bei einem Orgasmus die weiße Spermienflüssigkeit aus, der ja nach patriarchal-quantitativer Interpretationsweise eine größere Bedeutung bei der Generationenfolge zukommt als dem weiblichen Tier selbst, denn ein Schaf- oder Ziegenbock oder der Stier kann ja viele weibliche Tiere decken und seine Spermien dadurch weitläufig verteilen. Der heterosexuelle Liebesakt rückt dadurch ins Zentrum des Interesses der neolithischen Gemeinschaften des Modus II und III. (Einteilung der vier Modi des Neolithikums siehe Bott, Gerhard, 2009; S. 132 – 151). Dazu passt, dass in Ain Sakhri, in der Nähe von Bethlehem, im Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds, das erste Mal in einer Höhle eine Figur gefunden wird, die einen Sexualakt darstellt und auf 8000 v.u.Z. datiert wird. Da der Fundort eine Höhle, also ein ursprünglich ausschließlich heiliger Ort von Gott MUTTER ist, können wir davon ausgehen, dass hier erstmals Sexualität geheiligt werden soll und zwar ausschließlich heterosexuelle Sexualität. Beide Figuren lenken also die Aufmerksamkeit auf den männlichen Beitrag von Fruchtbarkeit.
Mit der Domestikation von Tieren in Herden können wir also den Beginn der Entstehung eines ersten Theos, eines männlichen Gottes nachvollziehen. Nicht zufällig sind die ersten männlichen Götter Hirtengötter, denn das Bewusstsein männlicher Fruchtbarkeit ist eng verknüpft mit der Wandlung der männlichen Jägerökonomie zur männlichen Hirtenökonomie und damit von Anbeginn an mit Herrschaft, denn Herdenhaltung bedeutet einen massiven Eingriff in die biologisch verankerte sexuelle female choice der Mutterherden. (Armbruster, Kirsten, 2010, S. S. 178 – 195).
Die Basis von Gott als Mann ist historisch also eine auf männlicher Hybris beruhende Herrschaftsideologie, eine herrschaftliche Hirtentheologie, die verbunden ist mit einem Phalluskult als Hervorhebung männlicher Potenz als Initiator von Fruchtbarkeit, einer Fruchtbarkeit, die erstmals im Neolithikum Bedeutung erlangt und dessen Herrschaftsembleme bis heute Krummstab und Geißel sind.
In dieser Fehlbeurteilung der unterschiedlichen biologischen Wichtigkeiten für die Generationenfolge, liegt die zerstörerische Basis des Patriarchats, die der einzigartigen Mutterfähigkeit nur Quantitätsdenken entgegensetzen kann, das mit einem Wachstumszwang einhergeht: Der biologische Vater setzt auf Fruchtbarkeit als Quantitätsdenken, weil ein Stier viele Kühe „befruchten“ kann und mit dem Anwachsen der Häupter einer Herde erstmals Privateigentum akkumuliert werden kann, welche den Mann als Vater-Individuum aus der paläolithischen Gesamthandwirtschaft mit ihrer allumfassenden sozialen Verantwortung und kooperativen, alle einbeziehenden Fürsorgearbeit „befreit“ und dem Grundprinzip des Kapitalismus entspricht.
Wirtschaftswachstum und Bevölkerungswachstum sind bis heute die zerstörerischen Folgen des quantitativen Vaterwahns des Patriarchats. Neben dem zwanghaften Quantitätsdenken legt die Hybris der Väterbedeutung aber auch die Saat für die bis heute weit verbreitete Theorie, dass der Vater der aktive Teil bei der Lebensentstehung und die Mutter nur das passive Gefäß seines „Samens“ ist, was zum Beispiel auch sehr deutlich wird in dem Marienbild des Katholizismus, das die Frau als Magd des HERRN definiert, während der Protestantismus sogar noch weiter geht und den Mythologischen Muttermord als Basis hat. Tatsächlich vermitteln wir aber nicht nur theologisch, sondern auch „naturwissenschaftlich“ mit unserer Sprache genau das Bild, dass die Mutter das passive Gefäß für den „Samen“ des Vaters ist. Wir sprechen beim Spermium von Samen, obwohl die Definition eines Samens den bereits fertigen Embryo beinhaltet, was der Homunculustheorie des Patriarchats, aber nicht den mutterbiologischen Tatsachen entspricht. Aber selbst die Wörter Fortpflanzung, Befruchtung, Besamung, Empfängnis, Zeugung oder das Wort schwängern, die wir auch heute noch alle verwenden, vermitteln das falsche Verständnis des Vaters als aktiven und wesentlichen Teil der Lebensentstehung und die Frau und Mutter als nebensächlichen und passiven Teil, wie Georg Reischl herausgearbeitet hat (siehe https://reproduktion-fortpflanzung-vererbung.blogspot.de/).
Religion muss im Zuge der Patriarchalisierung durch Theologie ersetzt werden, denn eine Anbindung, eine Losbindung und eine Rückbindung – wie Religion natürlicherweise seit 500 000 Jahren Menschheitsgeschichte definiert ist, findet immer nur über den Körper der Mutter statt. Im Körper des Vaters ist das nicht möglich. Tauchen also erstmals männliche Götter auf, wie wir sie für das Neolithikum auch bei Marija Gimbutas in ihrem Buch „Die Zivilisation der Göttin (1996, S. 249 – 251) beschrieben finden, hat bereits Theologie begonnen, denn Religion, die auf die enge Nabelanbindung des Kindes an die Mutter zurückgeht, was an vielen Figurinen auch noch bis ins Metallzeitalter durch eine auffällige Betonung des Nabels gut sichtbar ist, kann auch heute niemals väterlich, sondern immer nur mütterlich erfahren werden. Marija Gimbutas bezeichnet das weiblich Göttliche in ihren großen Werken „Die Zivilisation der Göttin“ (1996) und „Die Sprache der Göttin“ (1998) als GÖTTIN und tatsächlich darf Gott MUTTER im Neolithikum nicht mehr die aseitätische Gott MUTTER des Paläolithikums sein, welche die Bindung an die Natürliche Integrative Ordnung der Mutter spiegelt, sondern nur noch eine Göttin, die als Gegenüber immer einen Gott hat.
Schauen wir uns den Wandel von Religion zu Theologie genauer an, so sehen wir am Ende des Neolithikums, in der Kupfersteinzeit, häufiger Paardarstellungen, wie in Abbildungen aus der Hamangia- und der ihr nachfolgenden Gumelnita-Kultur am Schwarzen Meer zu sehen ist: Göttin und Gott sind das heilige Paar.
1.2 Die Entstehung patriarchaler Gesellschaftsstrukturen
Tatsächlich gehen mit der theologischen Durchsetzung des heiligen Paars auch soziologisch große Umbrüche einher. Wie wir gesehen haben, führt die Herdendomestikation von wiederkäuenden, Rohfaser verwertenden, domestizierten Tieren wie Schafen und Ziegen und ab 7000 v.u.Z. von Rindern zu einer Veränderung in der männlichen Ökonomie. Während wir in der ersten Phase des Neolithikums noch von einer matrifokal-kollektiven und egalitären Gesamthandökonomie ausgehen können, verändert sich dies im Zuge der Herdendomestikation derart, dass Privateigentum entsteht. Das erste Privateigentum sind die den Männern zugerechneten Herden von Schafen und Ziegen, und insbesondere dann die Herden von Rindern. Die Entstehung von Privateigentum ist also mit den capites, den Häuptern einer Herde verknüpft. Das Verständnis von Vaterschaft geht also sehr schnell mit Privatbesitz einher.
Die Männer folgen auf der Suche nach neuen Weidegründen ihren Herden und so können wir ab 6000 v.u.Z. von Anatolien ausgehende Rinderbauern-Migrationsbewegungen in alle Richtungen nachvollziehen, welche die sesshaften Rinderbauern zu Rindernomaden macht. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Stammform aller heutigen europäischen und vieler asiatischer und afrikanischer Rinderrassen genetisch alle von dem aus Anatolien kommenden Auerochsen (Bos primigenius) abstammen. (Bollongino, Ruth, 2006).
Die neuen Rindernomaden überqueren in Richtung Norden den Kaukasus, in Richtung Süden ziehen sie nach Syrien, Elam (Iran), Mesopotamien, in das Industal und nach Nordafrika. Aber auch in Richtung Westen nach Europa beginnen sie als sogenannte LinearbandkeramikerInnen ab 5600 v.u.Z. einzuwandern und treffen dort auf die immer noch wildbeuterisch lebende Urbevölkerung Alteuropas. (Bott, Gerhard; 2014, S. 181 – 187).
Durch die Wanderungen verlieren die Frauen der Rindernomaden die Möglichkeit ihren bereits seit 10 500 v.u.Z. in Anatolien und in der Gegend des Fruchtbaren Halbmonds entwickelten Bereich der Gartenbau- und Pflanzenagrikultur (Modus I/II) fortzusetzen und geraten damit in eine starke ökonomische Abhängigkeit von den Männern. Mit der Erfindung des Pflugs ab 4500 v.u.Z. werden dann auch die Frauen der noch sesshaften Rinderbauern aus ihrem eigenständigen Ökonomiebereich der Agrikultur herausgedrängt, denn das Pflügen übernimmt nun der Mann mit kastrierten Ochsen, die aus seiner Rinderzucht stammen. Der Mann wird Ackermann. Spätestens hier ist die Frau ökonomisch so geschwächt, dass der Mann neben der Patrilinearität auch die Patrilokalität und die damit einhergehende Paarungsfamilie durchsetzen kann. Bott beschreibt den Umbruch zur Paarungsfamilie folgendermaßen:
„Sobald die Blutsfamilie ihre Funktion als Lebens- und Wirtschafts-Gemeinschaft eingebüßt hat, weil die agrarische Frauen-Arbeitsgemeinschaft ihr produktives Tätigkeitsfeld durch den Pflug verloren und der Mann sich als Hofeigentümer selbstständig gemacht hat, ist die Frau wirtschaftlich so geschwächt, dass sie froh ist, von einem reichen Rinderbauern „heimgeführt“ zu werden. Mit der neuen Viri- oder Patrilokalität kann der Mann jetzt auch die Paarungsfamilie durchsetzen, die ihm ja ganz besonders am Herzen liegt: um seiner Vaterschaft sicher zu sein, muss der Mann die Frau, die Mutter „seiner“ Kinder werden soll, in seinem Haus, oder Palast „domestizieren“, d.h. beständig unter seiner Kontrolle halten. Es ist deshalb allein das Interesse des Mannes, „seine“ Frau in einer monogamen EHE und Paarungsfamilie zu isolieren“. (Bott, Gerhard, 2014, S. 194/195).
Die Bildung von Privateigentum im Zuge der Herdendomestikation, die Verdrängung von Frauen aus einer eigenen Ökonomie und schließlich die Durchsetzung der Paarungsfamilie führen zu hierarchischen Gesellschaftsstrukturen, die sich erstmals ebenfalls ab 4500 v.u.Z. in männlichen Herrschergräbern in Arsan Tepe in Anatolien und in Warna am Schwarzen Meer, dem heutigen Bulgarien zeigen. Hinzu kommt, dass, nachdem seit 8000 v.u.Z. bereits das Kalthämmern von gediegenem Kupfer betrieben worden war (Haarmann, Harald, 2011S. 124 – 127). die Technik des Brennens von Keramik in Keramikbrennöfen, welche die Frauen ab 6500 v.u.Z. in Anatolien und in Südeuropa entwickelt haben (ebenda S. 118), nun, ab circa 5400 v.u.Z., die technische Grundlage ist für die erste Verarbeitung von Kupfer durch Schmelzverfahren. In der ersten Hälfte des 5. Jt. gewinnt die Kupfererzverarbeitung aus Bergbau schließlich an Bedeutung. Diese ist erstmals im ostserbischen Rudna Glava und im bulgarischen Al Bunar nachgewiesen. (Schier, Wolfram, 2010, S. 28). Der Bergbau setzt einen Kulturbruch der Entheiligung von Mutter Erde voraus. (Armbruster, Kirsten, 2010, S. 196 – 200). In dieser ersten Patriarchalisierungsphase lassen sich auch die ersten Gewaltausübungen archäologisch nachweisen, die sich mit der Domestikation des Pferdes ab 4000 v.u.Z., und schließlich der Erfindung des Rades wahrscheinlich um 3500 v.u.Z., massiv ausweiten. Mit der Bronzezeit beginnt das patriarchale Kriegszeitalter, das durch kriegerische Eroberungen ab 3300 v.u.Z. durch Streitwagenkrieger und später Reiterkrieger gekennzeichnet ist und sich in der Eisenzeit ab 1400 v.u.Z. in Kleinasien und ab 1000 v.u.Z. als „scheinbar“ gesellschaftliche Normalität durchsetzt. (siehe Zeittafel)
2. Die Heilige Hochzeit als politisch-theologisches Machtritual der Überhöhung männlicher Fruchtbarkeit zur Durchsetzung eines Gottkönigtums als Ausdruck weltlicher und theologisch-patriarchaler Herrschaftsmacht, an dessen Ende der Mythologische Muttermord steht
Als Feministinnen in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen sich in Europa und den USA mit weiblicher Spiritualität zu beschäftigen, stießen sie in der History, ausgehend von den heutigen, auf dem Mythologischen Muttermord aufbauenden, tief patriarchalen abrahamitischen Theologien auf namentlich genannte Göttinnen und auf die Hexenverfolgung, welche jede weibliche Religion vernichtet hatte. Eine vom Mainstream der Gesellschaft und den Medien bis heute nicht beachtete weitläufige Göttinnenbewegung entstand, die verständlicherweise in der systematisch-patriarchalen Gehirnwäschegeschichtsklitterung erst mal über jede Nennung weiblicher Göttlichkeit froh war.
Die Patriarchatskritikforschung ging ab dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts einen anderen Weg. Sie begann mit ihren Forschungen am Anfang der Menschheitsgeschichte, zog in ihre Betrachtungen eine Vielzahl von akademisch zerteilten Forschungsgebieten wie die Anthropologie, die Evolutionsbiologie, die Biologie, die Archäologie, die Soziobiologie, die Linguistik, die Theologien, die Symbolmythologie und die Landschaftsmythologie mit ein und legte durch diesen vielschichtigen interdisziplinären Ansatz einen ganz anderen Blick auf den Ursprung der Menschheit und die Entstehung des Patriarchats frei, der inzwischen sehr schlüssig und umfassend mit zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen unterlegt wurde. Hierbei wurde deutlich, dass am Anfang der Menschheitsgeschichte die Religion von Gott MUTTER steht, welche in der Natürlichen Integrativen Ordnung der Mutter eingebettet ist, in welche die Menschenart nun mal hineingeboren wird. Es wurde auch schlüssig dargelegt, dass die Patriarchalisierung erst im Laufe des Neolithikums ab circa 8500 v.u.Z. mit der Hybris des Mannes begann, sich als biologischer Vater auf der gleichen Ebene wie die Mutter zu definieren und in einer unheiligen Allianz zwischen Landwirtschaft und Theologie den Mann zu Gott zu erheben. Was auf den ersten Blick partnerschaftlich-gerecht zu sein scheint, zeigt aber in der nur 4000 Jahre dauernden Durchsetzung der Paarungsfamilie, die mit einer ökonomischen Abhängigkeit der Frau einhergeht (8500 – 4500 v.u.Z.), dass es beim Patriarchat von Anfang an nie um Partnerschaft ging, sondern immer schon um Herrschaft. Kein Wunder, steht doch am Anfang der Erkenntnis von biologischer Vaterschaft die männliche Herrschaft über die Tiere, die mit der Herdenhaltung des Modus II/III begann und sich innerhalb kürzester Zeit ausweitete als Herrschaft über Frauen, Kinder, Sklaven, die Erde, die Vegetation, die Welt. Bis heute gilt: Der HERR ist dein HIRTE und der HERR macht sich die Welt untertan durch Ausbeutung in jeglicher Form, insbesondere aber durch die Ausbeutung von Müttern, die bis in die Gegenwart, geldunwert wie Sklavinnen, isoliert in Paarungsfamilien, ideologisch geködert durch den „schönsten Tag des Lebens der Heiligen Hochzeit“ den größten Teil der lebensnotwendigen Fürsorgearbeit (Caringarbeit) erledigen, oder als „Alleinerziehende“ von Vater Staat hartnäckig menschenunwürdig durch Väterrechtsklagen und Wechselmodell drangsaliert und in Armut gedrängt werden, ebenso wie die Mutterrentnerinnen, die ihre gesellschaftliche Schuldigkeit getan und systemimmanent in Altersarmut getrieben werden, weil ihre gesellschaftliche Arbeit nicht geachtet, geschweige denn monetär entlohnt worden ist.
Gehen wir also zu den Wurzeln dieses lebensfeindlichen Systems und schauen uns an, wie es erst zur Institutionalisierung des Rituals der Heiligen Hochzeit und den darauf folgenden Mythologischen Muttermord kam und beginnen mit Mesopotamien, wo sowohl die „Heilige Hochzeit“ erstmals von den Sumerern zwischen 2700 und 2500 v. u.Z., als auch der Mythologische Muttermord im babylonischen Heldenepos Enuma Elish (1100 v.u.Z.) schriftlich erwähnt werden.
2.1 Mesopotamien und Ägypten
Dass die ersten namentlich genannten Göttinnen und Götter bereits aus militärisch-imperialen Gesellschaften mit Sklavenhaltung und einer Politischen Theologie stammen, hat Gerhard Bott in seinen beiden Bänden „Die Erfindung der Götter – Essays zur Politischen Theologie (2009 und 2014) sowohl für die reichsgründenden Priesterfürsten Sumers und Ägyptens fundiert beschrieben. (Bott, Gerhard, 2009, S. 398 – 483, sowie 2014, S. 256 – 284 und S. 293 – 360). Und auch Carola Meier-Seethaler korrigiert die Sichtweise von Autorinnen wie Doris Wolf, oder Heide Göttner-Abendroth, welche in den Aristokratischen Herrschaftskulturen in Mesopotamien, Elam (Iran) und Ägypten ein „Matriarchales Königinnentum“ mit einer „Göttinnen-Theakratie“ und der „Heiligen Hochzeit“ als Kernstück eines angeblichen Matriarchats zu erkennen glauben. Sie schreibt:
„Zwar bestand das frühe König- und Königinnentum von „Göttin Gnaden“, weil die Oberpriesterin als Stellvertreterin der Göttin die Herrschaft des Königs durch den Vollzug der Heiligen Hochzeit erst legitimierte. Doch ist die Vorstellung eines mütterlichen Regimes der Frauen im Sinne der Weiterführung der egalitären Gemeinschaftsordnung im großen Maßstab leider eine Illusion … Zweifellos befanden sich die Königinnen in den realen Verhältnissen der mesopotamischen Stadtstaaten und des Alten Ägypten in Abhängigkeit von ihren Herrschergatten, weil sie von diesen oder von deren Vorgängern in das Amt der Oberpriesterin eingesetzt worden waren. Beide Titel, den des Königs und den der Königin gab es überhaupt erst, nachdem ehrgeizige Fürsten die Königsmacht mit militärischer Gewalt etabliert hatten“. (Meier-Seethaler, Carola; 2011, S. 147).
Gerhard Bott, der als erster das Ritual der Heiligen Hochzeit als patriarchale Kulturrevolution durchschaut und es von der „matriarchalen“ Fehlinterpretation befreit hat, hat den tiefgreifenden patriarchalen Umbruchs der „Heiligen Hochzeit“ in drei Aspekte aufgeschlüsselt. (Bott, Gerhard, 2009, S. 163 – 208), wobei es sich bei genauerem Hinsehen erweist, dass alle drei Aspekte einzig und allein dem Ziel des Herrschaftsmachtzuwachses männlicher Fruchtbarkeit dienen, der mit einem Phalluskult und einem Ejakulatskult einhergeht, der als „Samenkult“ zelebriert wird, obwohl männliche Spermien keine Samen sind, weil sie eben nicht den fertigen Embryo enthalten. Bott schreibt in seinem Kapitel über die Heilige Hochzeit:
„Dieser Kult hat, wie wir sehen werden, drei Aspekte: Heiligung der Fruchtbarkeit mit der er beginnt, danach Heiligung und Legitimation des Königs und Heiligung des in der Hochzeit gezeugten und empfangenden Thronfolgers. (ebenda, S. 163)“.
Der erste Aspekt der Heiligen Hochzeit ist die Erhöhung der männlichen Fruchtbarkeit, die sich einerseits auf die Rolle des Mannes als biologischer Vater bezieht, was ihn in einem ersten Schritt zum HERRN SEINER KINDER macht, sich aber gleichzeitig auch im ökonomischen Bereich der Land-Wirtschaft manifestiert, indem der Mann erst der HERR wird über die Fruchtbarkeit der Tiere, was seine paläolithische Rolle als JÄGER und SCHAMANE der TIERE wandelt zum HIRTEN und HERRN der TIERE und in einem zweiten Schritt durch die Ausweitung des männlichen Ökonomiebereichs durch den von Ochsen gezogenen Pflug auf die Fruchtbarkeit des Landes, was die Basis legt für das Verständnis des Mannes als HERRN des LANDES. Als HERR des LANDES wird der Mann der König des Landes. Natürlich wird der neue Fruchtbarkeitsherrschaftsmachtanspruch des Mannes – die neue HIERARCHIE – auch theologisch abgesichert. Der Mann wird Hirtengott und nun auch Vegetationsgott. Schließlich wird er der Logik des phallischen Ejakulatkults entsprechend zu einem Regen- und Wettergott, dann weitet sich sein Machtbereich auf den gesamten Kosmos aus und es entstehen mythologisch Mond‑, Sonnen- und Himmelsgott, außerdem wird er der Gott der Weisheit und schließlich okkupiert der Mann auch die Heiligen Wiedergeburts-Vulva-Höhlen von Gott MUTTER, er wird der Gott der Unterwelt, der HERR über Leben und Tod, wie der ägyptische Gott Osiris oder auch der indoeuropäische Hades, bevor er, der Mann sich nach dem Mythologischen Muttermord scheinbar ewiglich zum alleinigen monotheistischen Schöpfergott erhöht. Parallel zur Ausweitung des männlichen theologischen Machtbereichs bleibt nur noch Mutter Erde übrig, die aber nun beliebig ausgebeutet werden darf, denn der monotheistische Vatergott verfügt: „Machet euch die Erde untertan“. Das Gleiche erfolgt mit der Frau, die als Mutter zum passiven Acker eines dem männlichen Fruchtbarkeitwahns verfallenen Mannes degradiert ist, welcher der Mann beliebig „pflügen“ darf. Der Vergewaltigung ist damit Tür und Tor geöffnet. Und schauen wir uns noch mal den dritten Machtaspekt der „Heiligen Hochzeit“ an, in der Thronfolgerechte respektive Sohnthronfolgerechte durchgesetzt werden sollen, so spricht die Wortwahl des üblichen, naturwissenschaftlichen Vokabulars Bände, denn es geht um die“Heiligung des in der Hochzeit gezeugten und empfangenden Thronfolgers“. Diese auch heute noch scheinbar angemessene und gängige Wortwahl impliziert den vom Patriarchat gewollten Passivierungsaspekt der Mutter, denn der Vater zeugt und die Mutter empfängt.
Wie sehr Landwirtschaft und Theologie miteinander patriarchal verknüpft sind, können wir an verschiedenen Texten aus Mesopotamien festmachen, wo die „Heilige Hochzeit“ erstmals von den Sumerern zwischen 2700 und 2500 v. u.Z. schriftlich erwähnt wurde. (Bott, Gerhard, 2009, S. 168). So gibt ein von A. Falkenstein übersetzter altbabylonischer Keilschrifttext, der in diese Zeit datiert wird, eine Wechselrede zwischen Oberpriesterin und König während des Rituals der Heiligen Hochzeit wieder, welche diese enge Verknüpfung zum Ausdruck bringt. Auf den ersten Blick erscheint es wie ein Liebesritual, doch auf den zweiten Blick offenbart sich das Ritual als Mittel zum Zweck, oder welche Frau möchte in einem erotischen Liebesspiel gerne gepflügt werden?
Priesterin:
Für den Wildstier, für den Herrn
Habe ich mich gebadet
Wenn ich meine Lenden in seine zärtlichen Arme gebettet
Wenn er zum reinen Bette der Göttin kommt
Und er mir mit Milch und Sahn
Den Schoß glättet…
Wer wird mich, die Jungfrau pflügen
Meine Vulva und ihren wasserreichen Grund
Mich, die Königin, wer wird seinen stoßenden Stier festmachen?
König:
Königliche Herrin, der König selbst
Wird den Pflug über dich führen
Der König selbst wird dir die Vulva pflügen.
(zit. aus Meier Seethaler, Carola, 2011, S. 164; aus H. Hunger, 1984, S. 118).
Auch in Ägypten sehen wir beim Gott Osiris, der einerseits der Gatte der Göttin Isis ist, die gemeinsam den Sohn Horus haben, gleichzeitig aber auch ihr Bruder ist, weil Isis und Osiris die gemeinsame Mutter Nut haben, wie sehr sich Landwirtschaft und Theologie miteinander zu einem patriarchalen Konglomerat verbinden. Bereits in der 1./2. Dynastie, also zwischen 2700 und 2200 v.u.Z. gilt Osiris in Ägypten als „Mondgott und Spender der Feuchtigkeit, als Gott der Äcker und Saaten und als der große Samenspender, dessen Phallus in riesiger Nachbildung auf Kultprozessionen herumgetragen wurde. Die irdische Inkarnation des Osiris sah man im „Apisstier“, dessen Kult natürlich mit regelmäßigen Stieropfern verbunden war. (Meier-Seethaler, Carola, 2011, S. 154).
Wir können also sehen, dass der Mann als Gott mit seiner Politischen Theologie innerhalb weniger Jahrtausende Gott MUTTER des Paläolithikums nach und nach entmachtet durch die Projektion aller Naturerscheinungen auf den Mann, bei gleichzeitiger Aufspaltung von Gott MUTTER in unzählige Göttinnen, was neben der männlichen Theologisierung enorm zur Schwächung der ursprünglichen Religion von Gott MUTTER beigetragen hat. Möglich wird diese massive Ausweitung der patriarchalen Macht des Mannes nur dadurch, dass zwei Tabus des Paläolithikums gebrochen werden. Erstens die female choice und zweitens das Inzesttabu der matrilinearen Blutslinie.
Tatsächlich kann in dem Ritual der Heiligen Hochzeit, das über die Erhöhung der Fruchtbarkeit des Mannes die Herrschaft des Mannes über die Frau und als Gottkönig über das Land nur durch den Bruch mit dem paläolithischen matrilinearen Inzesttabu auch der dritte Aspekt patriarchaler Herrschaft durchgesetzt werden, die „Heiligung des in der Hochzeit gezeugten und empfangenden Thronfolgers“, die nur erfolgen kann durch den Geschwisterinzest. Der Geschwisterinzest ist der Grund weshalb wir in vielen der Göttergenealogien Geschwister finden, die gleichzeitig Sexualpartner sind, wie in Ägypten, Isis und Osiris deren Mutter die Göttin Nut ist und die den gemeinsamen Sohn Horus haben, oder auch in Griechenland Hera und Zeus, deren Mutter die Göttin Rhea ist, und die gleichzeitig die vier gemeinsamen Kinder Ares, Hebe, Eileithya und Hephaistos haben. Der Geschwisterinzest findet sich auch bei den semitischen Göttern Baal und Anath und auch in mesopotamischen Keilschrifttexten über die ursprünglich sumerische, die „Heilige Hochzeit“ vollziehende Göttin Inanna und den Hirtengott Dumuzi finden wir die Bezeichnungen Bruder und Schwester, wobei die Datierung dieser Texte nicht ganz klar ist und in der sumerischen-theologischen Genealogie Inanna und Dumuzi eigentlich nicht als Geschwister aufgeführt sind. Gerhard Bott weist darauf hin, dass der Sumerologe Kramer in seiner englischen Übersetzung die Datierung des Inanna Mythenkomplexes nur ungefähr auf den Beginn des zweiten Jahrtausends datiert, woraus zu schließen ist, dass die Texte erst nach dem Untergang der sumerischen Kultur entstanden sind und vielleicht erst auf den babylonischen König Hammurabi um 1720 v.u.Z. zurückgehen. (Bott, Gerhard, 2014, S. 295). In dem von Vera Zingsem aus dem Englischen ins Deutsche übersetzten Mythenkomplex um Inanna nach dem amerikanischen Sumerologen Samuel Noah Kramer von 1983 in dem Buch „Göttinnen großer Kulturen“ (2008) können wir über die sumerische Göttin Inanna und ihre „Heilige Hochzeit“ mit dem Hirtengott Dumuzi lesen:
„Inanna sang:
„Mach deine Milch süß und dick, mein Bräutigam.
Mein Hirte, ich will deine frische Milch trinken.
Wilder Stier Dumuzi, mach deine Milch süß und dick …
Fülle mein heiliges Butterfaß mit honigschmeckendem Käse …
Dumuzi antwortet ein paar Zeilen weiter:
Dumuzi sprach:
„Meine Schwester, ich möchte mit dir in meinen Garten gehen.
Inanna, ich möchte mit dir in meinen Garten gehen.
Ich möchte mit dir in meinen Obstgarten gehen.
Ich möchte mit dir zu meinem Apfelbaum gehen.
Dort möchte ich die süße honigbedeckte Saat pflanzen“
Inanna sprach:
„Er brachte mich in seinen Garten.
Mein Bruder, Dumuzi, brachte mich in seinen Garten“…
(Zingsem, Vera; 2008, S. 46)
Inanna, die noch große Göttin der Sumerer, die in der III. Dynastie von Ur noch im Besitz der geheimnisvollen „Me-Kräfte“, den Kräften der Weisheit ist (Meier-Seethaler, Carola, 2011, S. 163), von ihr wird spätestens zu Zeiten von Hammurabi in den Mythologischen Texten über Inanna und den Weisheitsgott Enki berichte, dass sie, die Göttin, nun von ihrem Vater Enki die Me, die Weisheitskräfte, erhalten hat. Bei Vera Zingsem können wir lesen:
„Enki, schwankend vor Trunkenheit, prostete Inanna zu:
„Im Namen meiner Macht! Im Namen meines heiligen Schreines“!
Meiner Tochter Inanna werde ich geben
Das heilige Priestertum! Göttliche Ehren und Würden!
Die vortreffliche, Zeiten überdauernde Krone! Den Königsthron!“
Inanna antwortete:
„Ich nehme alles an!“
Enki hob seinen Becher und prostete Inanna ein zweites Mal zu:
„Im Namen meiner Macht! Im Namen meines heiligen Schreines!
Meiner Tochter Inanna werde ich geben
Wahrheit!
Abstieg in die Unterwelt! Auferstehung aus der Unterwelt!
Die Kunst des Liebens! Das Küssen des Phallus!“
(Zingsem, Vera; 2008, S. 31)
Ein paar Zeilen weiter bestätigt Inanna, dass sie, die Göttin, die heiligen Me, die Weisheitskräfte von ihrem Vater Enki empfangen hat. Sie spricht in dem überlieferten Text:
„Mein Vater hat mir die me übergeben:
Er hat mir das Hohepriestertum gegeben.
Er hat mir die Gotteswürde gegeben“…… (ebenda)
Mehr als zwei Seiten listet Inanna genau auf, was sie ihrem Vater alles zu verdanken hat und der Text zeigt, dass das Patriarchat zum Entstehungszeitpunkt der Texte die Göttin weitgehend entmachtet hat.
In den folgenden, ebenfalls aus Mesopotamien stammenden Gilgamesch-Mythen, die, wie Bott schreibt allerdings nicht zu Lebzeiten von König Gilgamesch (2700 v.u.Z.), sondern erst um 1100 v.u.Z. von einem semitischen Priester verfasst wurden, wird schließlich festgehalten, dass Gilgamesch es als erster König wagte, der Großen Göttin die Heilige Hochzeit zu verweigern. Das zeigt, dass spätestens die semitischen Könige so erstarkt waren, dass sie zur Legitimation ihrer Herrschaft auf den Segen einer Göttin verzichten konnten. Die, der sumerischen Göttin Inanna nachfolgende akkadische Göttin Ishtar, die zur Regierungszeit von Sargon I. (2300 v.u.Z.) noch als Siegesgöttin und damit als Kriegsgöttin gefeiert wurde, ist zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer männermordenden Hure degradiert, die alle Männer ins Verderben stürzt. (Bott, Gerhard, 2009, S. 176).
Tatsächlich stehen wir 1100 v.u.Z. an der Schwelle des gewaltsamen Umbruchs von der bilinearen Abstammung als erster Patriarchalisierungsphase hin zu einem unilinear patrilinearen Abstammungsverhältnis als zweiter Patriarchalisierungsphase, welche mit dem Mythologischen Muttermord eingeläutet wird, der in Mesopotamien in dem babylonischen Schöpfungsmythos Enuma Elish, zu Zeiten des semitisch-babylonischen Königs Nebukadnezar, um circa 1100 v.u.Z. verfasst wird und den Mord der Göttin Tiamat durch den Gott Marduk beschreibt. In Ägypten war 1500 v.u.Z. unter der Herrschaft des Pharaos Echnaton der Versuch Gott Aton als ersten monotheistischen Sonnengott zu institutionalisieren, noch gescheitert. 400 Jahre später gelingt in Mesopotamien der Mythologische Mord an Gott MUTTER. Das Patriarchat verschärft sich und führt 650 v.u.Z., in der Zeit von König Josia in Kanaan mit dem ursprünglichen Wettergott JAHWE zur Etablierung der ersten monotheistischen Theologie, dem Judentum der Hebräer. (Bott, Gerhard: 2009; S. 517 – 530). Dazu bedurfte es des Mythologischen Muttermords an der Göttin Aschera, welche ursprünglich seine Gattin war und, wie im Alten Testament überall zu lesen ist, nun als Greuelbild einer Götzin dämonisiert wird. Teil der zweiten ideologischen Patriarchalisierungsphase, die mit schriftlichen Dokumentationen einhergeht, ist es, die Schriften in frühere Zeiten zu datieren, um den Anschein zu erwecken, dass Gott als Mann schon immer am Anfang des Lebens stand, was natürlich absurd ist und eben nur Teil der Patriarchatspropaganda.
2.2. Asien
Natürlich haben wir auch in Asien nicht nur das Ritual der „Heiligen Hochzeit“, sondern auch den Mythologischen Muttermord. In der hinduistischen Mythologie finden wir ebenfalls die dem Patriarchat eigene typische Paartheologisierung zum Beispiel in den Götterpaaren Shiva und Shakti, Lakshmi und Vishnu oder auch bei Sarasvati und Brahma, wobei Sarasvati in der hinduistischen Mythologie als Tochter und Gattin Brahmas genannt wird. Wie in der obigen linken Abbildung zu sehen, gibt es im Hinduismus auch die Darstellung des Muttermords, hier zwischen Shiva und Shakti. Teil der patriarchalen Theologisierung im Hinduimus ist auch die Dämonisierung der abgespaltenen, angeblich männermordenden und Kinderopfer fordernden Schwarzen Göttin Kali, die sich der „Heiligen Hochzeit“ mit einem männlichen Gott widersetzen konnte und dafür dämonisiert wird. Die Witwenverbrennungen (Sati) und die häufigen Gruppenvergewaltigungen in Indien, die vielleicht besser verständlich werden, wenn frau den patriarchal-herrschaftlichen Hintergrund dieser vermeintlich „partnerschaftlichen Gott-Göttin-Theologien“ versteht, verweisen darauf, dass es auch im Hinduismus nicht um Partnerschaft zwischen Frau und Mann geht, sondern um theologisch indoktrinierte Herrschaft des Mannes über die Frau.
Auch der Buddhismus und insbesondere auch der im Westen so beliebte, tibetische Buddhismus mit seinen ritualisierten tantrischen Sexpraktiken ist tief patriarchal. Das erkennt frau nicht nur daran, dass Buddha von seiner Mutter Maya nicht durch die Vulva, sondern durch die Hüfte geboren wurde, sondern auch an der ritualisierten Annagelung der ursprünglichen, tibetischen Gott-Mutter Landschaftsahnin Srinmo, aber natürlich auch in der allgemeinen Frauenverachtung des Buddhismus. Eine ausführliche Darstellung der patriarchalen Indoktrination im Hinduismus und Buddhismus würde den Rahmen dieses Essays sprengen. Mehr zu diesem Thema findet sich aber in meinem Buch „Das Muttertabu oder der Beginn von Religion“. (Armbruster, Kirsten, 2010, S. 127 – 162).
2.3 Europa
Schauen wir auf Europa, so finden wir dort zwar nicht die Boviden-Gottkönigtümer, wie in Mesopotamien und Ägypten, aber auch in Europa ist das Patriarchat mit den Migrationsbewegungen der Rinderbauern bis 4500 v.u.Z. angekommen, was Gewaltausschreitungen, wie das Massaker von Talheim, bereits vor den von Marija Gimbutas beschriebenen Kurganinvasionen der Indoeuropäer aus den russischen Steppen, zeigen. Wie sehr sich die Religion in Alteuropa spätestens durch die gewaltsamen Einfälle indoeuropäischer Equidenkrieger verändert, hat Marija Gimbutas in ihrem wichtigen Werk „Die Zivilisation der Göttin“ (1996, S. 351 – 401) ausführlich beschrieben und wurde auch in meinem Buch „Das Muttertabu oder der Beginn von Religion“ ausführlich rezipiert. (Armbruster, Kirsten, 2010, S. 196 – 209).
Tatsächlich sind die indoeuropäischen Göttergenealogien der Griechen, Römer, Kelten und Germanen tief patriarchal und ihr Sozialverhalten äußerst kriegerisch. Ihre theologische Herrschaftsmacht ist eng verbunden mit Vergewaltigung und brutaler Aneignung der Naturmacht und der Gebärmacht von Gott MUTTER. In der obigen Darstellung des Raubs der Europa sehen wir das indoeuropäisch-theologische Prinzip: Der Raub und die damit einhergehende Vergewaltigung von Alteuropa, nicht zufällig durch den dem griechischen Pantheon vorstehenden Gottvater Zeus, der bei den Römern Jupiter genannt wird, hier in Gestalt eines Stiers.
Vergewaltigung ist also das Rückgrat der noch heute vom „Bildungsbürgertum“ als Hochkulturen gepriesenen indoeuropäischen Okkupierung von Europa, die natürlich auch die „Heilige Hochzeit“, die sogenannte Hieros Gamos und folgerichtig auch den Mythologischen Muttermord kennen, denn Gott Zeus eignet sich die Mütterlichen Gebärkräfte dadurch an, dass er die Weisheitsgöttin Metis verschlingt, was ihn, der patriarchalen Überlieferung nach, dazu ermächtigt die Göttin Athene aus seinem Kopf und den Gott Dionysos aus seinem Oberschenkel zu „gebären“. Auch der griechische Gott Apollon kann mit dem Mythologischen Muttermord in Verbindung gebracht werden, denn seine erste Tat war die Tötung der Schlangendrachin Phyton in Delphi. Delphi bedeutet „Schoß oder Gebärmutter“ und es war das berühmteste Orakel Griechenlands, wo die Göttin Gaia und ihr Symboltier, die Schlangendrachin Phyton, die für die mütterliche Nabelanbindung steht, kultisch verehrt wurden. (Armbruster, Kirsten, 2010, S. 162).
Bei Hesiod, dem berühmten Autor der griechischen Göttergenealogie (zwischen 700 und 600 v.u.Z.), den Bott als misogyn bezeichnet, weil er „Frauen als „Gottesstrafe für die Männer beschreibt“ (Hesiod, Verse 590 – 595, S. 116, zit. aus Bott, Gerhard, 2009, S. 500), können wir nachlesen, wie eng im Patriarchat Misogynie, die „Heilige Hochzeit“ eines theologischen Gott-Göttinnen-„Urelternpaares“ und der Mythologische Muttermord verknüpft sind. Hesiod bezeichnet die Göttin Gaia zwar als erste und einzige aus dem Chaos entstandene Urgottheit, was als Erinnerung an die paläolithische Gott MUTTER zu sehen ist, aber er setzt in typischer patriarchaler Paar-Theologisierung einen Vatergott daneben. Der Himmelsgott Uranos wird von Gaia geboren, da sie ja immer noch die Züge der aseitätischen Gott MUTTER des Paläolithikums trägt, aber mit Gaia und Uranos wird das erste göttliche Urelternpaar in Europa namentlich erwähnt und sofort beginnt das patriarchale Chaos. Der Vatergott Uranos hasst seine Kinder, u.a. die Göttin Rhea und den Gott der Zeit, Kronos, und das Drama nimmt seinen Lauf. Bott fasst die Ereignisse zusammen:
„Da ihr Sohn-Gatte Uranos alle anderen von seiner Mutter und Gattin zur Welt gebrachten Kinder hasste und sie im Schoß der Erde verbarg (Verse 154 – 161), sann die Göttin Gaia auf Rache, die ihr jüngster Sohn Kronos ausführte (Verse 161 – 169). Gaia gibt ihrem Sohn Kronos eine Sichel, mit der Kronos das Geschlecht seines Vaters Uranos in dem Augenblick „abmäht“ (Vers 181), als sich der Vater voller Liebesverlangen über Gaia beugt. Das Blut des Uranos verleiht Gaia, der Erde, weitere Fruchtbarkeit (Verse 157 – 187)“. (Bott, Gerhard, 2009, S. 500).
Auch hier sehen wir wieder die Exponierung männlicher Fruchtbarkeit, welche interessanterweise zwei Folgen hat. Einmal werden dadurch die Titanen erzeugt (Vers 210), die Zeus, der Sohn der Göttin Rhea schließlich in einem mörderischen Kampf vernichtet, um sich selbst an die Spitze des Götterpantheons zu stellen und es passiert noch etwas Interessantes, was wohl nur im Patriarchat logisch ist: Der von Kronos abgetrennte Phallus seines Vaters Uranos, welche dieser ins Meer wirft, bringt das Meer zum Aufschäumen und diesem Phallus-Ejakulat-Schaum entsteigt ohne Zutun einer Mutter die Göttin Aphrodite, welche nun eine reine Vatertochter ist. Dass dieser Mythologische Muttermord in Europa dann in der 458 v.u.Z. von dem Dichter Aeschylos geschriebenen Orestie endgültig besiegelt wird, zeigt, dass die Griechen – genauso wenig wie die anderen kriegerischen indoeuropäischen Völker der Römer, Kelten und Germanen eine „demokratische Hochkultur“ nach Europa brachten, sondern als erste ein hartes Patriarchat auch theologisch institutionalisierten. Während in der „Alten Ordnung der Erinnyen, Muttermord noch die einzig ewig unsühnbare Sünde war, wird der Mord von Orest, der seine Mutter Klytämnestra tötet, in der Orestie durch einen Freispruch des Sohnes gerechtfertigt“. (Armbruster, Kirsten, 2010, S. 163). Im letzten Teil der Orestie finden wir folgende Worte:
„Die man wohl Mutter heißt, ist des Gezeugten Zeugerin nicht, ist Amme nur des frisch gesetzten Keims. Es zeugt, der sie befruchtet; sie hütet Anvertrautes nur, dem Gut des Gastfreunds gleich… Ich gebe gleich Euch den Beweis, dass Vaterschaft auch ohne Mutter sein kann: Als lebendiges Zeugnis steht vor Euch die Tochter Zeus. Kein dunkler Schoß hat sie gebildet, und doch ist sie so herrlich geschaffen wie kein Götterkind“. (zit. in Meier-Seethaler, Carola; 1993, S. 140).
Der indoeuropäische Mythologische Muttermord bereitet den Boden für die zweite Phase der Patriarchalisierung in Europa, in der eine, aus den trockenen Gebieten des Nahen Ostens stammende, hirtenideologische monotheistische Vater-Gott-Sohn-Kriegstheologie in Form des Christentums mit Gewalt in der unheilvollen Verquickung von Politik und Theologie machtpolitisch durchgesetzt wird. Heute scheinen die monotheistisch-patriarchalen Kriegstheologien die Religion besiegt zu haben. Doch der ideologische Schein trügt, denn die Natürliche Integrative Ordnung der Mutter gilt auch jetzt noch unverändert und damit auch die Religion von Gott MUTTER. Wir müssen uns nur wieder daran erinnern, denn das Naturgesetz, dass alle Menschen nabelgebunden im Körper einer Mutter heranwachsen, hat sich trotz intensiver Bemühungen der Reproduktionsmedizin, noch nicht verändert.
Das bedeutet: Gott MUTTER – die Ewige - lebt immer noch und ihre uralte, im Paläolithikum und gerade auch in den Höhlen Europas verwurzelte Religion ist durch die Ergebnisse der Patriarchatskritikforschung jetzt wieder als Natur-Kult, eingebettet in eine friedliche, hochentwickelte Kultur, für alle sichtbar.
Literaturverzeichnis
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Armbruster, Kirsten: Gott die MUTTER – Eine Streitschrift wider den patriarchalen Monotheismus, 2013
Armbruster, Kirsten: Der Jacobsweg – Kriegspfad eines Maurentöters oder Muschelweg durch Mutterland? Die Wiederentdeckung der Wurzeln Europas – Teil 1; 2013
Armbruster, Kirsten: Der Muschelweg – Auf den Spuren von Gott der MUTTER; Die Wiederentdeckung der matrifokalen Wurzeln Europas; 2014
Armbruster, Kirsten: Matrifokalität – Mütter im Zentrum – Ein Plädoyer für die Natur – Weckruf für Zukunft, 2014
Bollongino, Ruth in „Der Treck nach Westen“ in www.zeit.de/2006/30/A‑Landwirtschaft?page=al
Bott, Gerhard: Die Erfindung der Götter, Essays zur Politischen Theologie; 2009
Bott, Gerhard: Die Erfindung der Götter, Essays zur Politischen Theologie; 2014, Band 2
Gimbutas, Marija: Die Zivilisation der Göttin, 1996
Gimbutas, Marija: Die Sprache der Göttin, 1998
Göttner-Abendroth, Heide: Die Göttin und ihr Heros – Die matriarchalen Religionen in Mythen, Märchen und Dichtung, 2011
Haarmann, Harald: Das Rätsel der Donauzivilisation – Die Entdeckung der ältesten Hochkultur Europas, 2011
Meier-Seethaler, Carola: Von der göttlichen Löwin zum Wahrzeichen männlicher Macht; Ursprung und Wandel großer Symbole; 1993
Meier-Seethaler, Carola: Ursprünge und Befreiungen – Eine dissidente Kulturtheorie, 2011
Reischl, Georg: https://reproduktion-fortpflanzung-vererbung.blogspot.de/
Schier, Wolfram in: Jungsteinzeit im Umbruch – Die „Michelsberger Kultur“ und Mitteleuropa vor 6.000 Jahren; 2010
Wolf, Doris: Der Kampf gegen Weisheit und Macht der matriarchalen Urkultur Ägyptens; 2009
Zingsem, Vera: GÖTTINNEN großer Kulturen; 2008