Neben dem kooperativen Aufzuchtverhalten und der hochkomplexen Sprachentwicklung, gibt es in der Evolutionsgeschichte des Menschen ein weiteres einzigartiges Kennzeichen der Menschwerdung. Das ist der bewusste Umgang mit dem Tod und die Bestattung der Toten, die schon sehr früh im Laufe der menschlichen Evolutionsgeschichte in Höhlen erfolgt.
Bisher galten Bestattungen als Monopol der Menschenarten Mulier-Homo neanderthalensis* und Mulier-Homo sapiens. Allerdings verliert die Paläoanthropologie gerade durch viele neue Funde von menschlichen Fossilien und neue Datierungen mit der Uran-Thorium Methode alle Gewissheiten, einmal bezüglich der bisherigen Grundannahme der Evolutionsgeschichte, welche sich die menschliche Entwicklung nur hierarchisch von
„primitiv“ zu “modern und entwickelt“ vorstellen kann, aber auch bezüglich der Aufteilung in verschiedene Menschenarten. Tatsächlich bleibt abzuwarten, ob sich diese Aufteilung langfristig durchsetzt, oder ob sich, wie Johann Grolle bereits 2013 im SPIEGEL schrieb „nicht letztendlich herausstellt, dass alle Hominiden des Frühen Paläolithikums derselben Art angehören“. (Grolle, Johann, Der SPIEGEL, Nr. 43, 21.10.2013, S. 118 – 121).
Der interdisziplinäre und dadurch über den Tellerrand einzelner Fachgebiete hinausblickende Forschungsansatz der Patriarchatskritikforschung legt nahe, dass sich wesentliche menschliche Kulturentwicklung mindestens 500.000 Jahre nachvollziehen lässt. Und Veröffentlichungen im Februar 2018 in Science und Science Advance über Mulier- Homo neanderthalensis bestätigen dies. Da neue Datierungen mit der Uran-Thorium Methode von Höhlenmalereien in Spanien ergeben haben, dass Neanderthalerinnen bereits 65.000 v.u.Z., und damit vor der Ankunft von Mulier-Homo sapiens in Europa, Höhlen bemalten (Panel, 78, Höhle La Pasiega, Nordspanien, siehe auch T‑Symbol), mit Farbpigmenten umblasene Handabdrücke an Höhlenwänden hinterließen (Höhle Maltravieso, Spanien, Datierung 66.000 v.u.Z.) und pigmentierten Schmuck aus perforierten Muscheln bereits vor 115 000 Jahren anfertigten, kommen ForscherInnen inzwischen zu dem Schluss, dass symbolische Kunst bereits auf die gemeinsamen Vorfahren beider Menschenarten, also 500.000 Jahre weit zurückgeht. (Greshko, Michael, World´s Oldest Cave Art Found – And Neanderthals Made it; National Geographic, 22.2.2018) http://news.nationalgeographic.com/2018/02/neanderthals-cave-art-humans-evolution- science/).
1. Bestattung der Toten in Höhlen als weiteres Kennzeichen der Menschwerdung
Schauen wir weiter auf Europa, so fällt auf, dass wir die ältesten Menschenspuren ebenfalls in verschiedenen Höhlen finden, wiederum in Spanien und zwar in Atapuerca bei Burgos in der Höhle Sima del Elefante (1,3 Millionen v.u.Z.), in der Höhle Gran Dolina (800.000 v.u.Z.), und, dass die Fossilien in der Höhle Sima de los Huesos (Pit oft he bones), die zwischen 600.000 und 300.000 Jahre datiert werden, sogar als Begräbnisstätte (mortuary site) eingestuft werden. Über Atapuerca und Burgos führt bis heute nicht zufällig der längste Wallfahrtsweg Europas, der als Kennzeichen eine Muschel hat und Jacobsweg genannt wird, was aber nur eine patriarchale Überlagerung des ursprünglichen Muschelwegs ist. (ausführliche Informationen hierzu in Armbruster, Kirsten: „Der Jacobsweg“ (2013) und „Der Muschelweg“ (2014)).
Auch in Südafrika stammen die neuesten Funde menschlicher Fossilien aus Höhlen, nämlich aus der Dinaledi Höhle und der Rising Star Höhle, 50 km von Johannesburg (2013 und 2015). Diese Funde wurden vom Forschungsteam unter der Leitung von Lee Berger ursprünglich auf 2,5 Millionen Jahre datiert und einer weiteren Menschenart, nämlich Mulier- Homo naledi, zugeordnet. Neueste Messungen mit der Uran-Thorium Methode führten jedoch zu einer Zeitkorrektur, so dass die Funde inzwischen auf ein Alter zwischen 335.000 bis 236.000 Jahre datiert werden. Interessant ist auch hier, dass die Ablage der Toten in den beiden Höhlen als eindeutige Begräbnisstätte beschrieben wird. (Veröffentlichung Max-Planck- Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig, 2003 – 2018).
Tatsächlich finden wir über den Zeitraum von circa 500 000 Jahren eine Reihe von menschlichen Fossilienfunden in Höhlen, von denen einige als Bestattungen eingestuft werden. Nun stellt sich natürlich die Frage, warum alle diese Funde mit Höhlen assoziiert sind. Zwar wird in Verbindung mit Höhlenmalereien inzwischen von Religion oder Kathedralen der Steinzeit gesprochen, aber um welche Religion es sich handeln könnte, bleibt seltsam nebulös. Die Religion der Höhlen wird allerdings sofort verstehbar, wenn man das Phallusdenken der patriarchalen Wissenschaft austauscht gegen ein Denken vom mütterlichen Körper her. Tatsächlich ist die einmalige Fähigkeit von Müttern, Leben und zwar weibliches, männliches, intersexuelles und transsexuelles Leben in ihrer Bauchhöhle nabelgebunden zu nähren, aus der Vulva zu gebären und losgebunden von der Nabelschnur auch weiter über die Milch der Mutterbrüste mit Nahrung zu versorgen, dieses für alle sicht- und erfahrbare, einzigartige Vermögen von Müttern das Zentrum menschlicher Lebenserfahrung und „the missing link“, warum patriarchal geprägte Wissenschaft ratlos vor den Höhlen steht und sich stattdessen in nebensächlichen Menschenartdetailfragen verliert.
Verstehen wir hingegen die Mütterzentriertheit – die Matrifokalität – der paläolithischen Menschheitsgeschichte, dann erkennen wir, dass auf der evolutions- und soziobiologischen Basis der Kooperation sich beim Menschen sowohl die hochkomplexe Sprache als auch der Beginn von Religion entwickelt haben, denn eine Bestattung von Toten ist der Beginn von Religion.
Und es ist nicht irgendeine nebulöse, angeblich nicht mehr nachvollziehbare Religion, die in den Höhlen ihren Anfang nimmt, sondern es ist der Beginn einer mutterzentrierten Religion, einer Religion, die auf der Urerfahrung eines jeglichen Menschen basiert, in einer Höhle geborgen, getragen und genährt zu werden, nämlich in der Bauchhöhle der Mutter. Die logische Konsequenz ist es, die Toten wieder in den Schutz und die Geborgenheit einer Erdhöhle abzulegen. Bis heute sprechen wir von Mutter Erde und die Erdhöhlen mit ihren häufig vulvaförmigen Ausformungen im Inneren und ihren vulvaförmigen Ein- und Ausgängen sind die natürlichen Ablageorte von Toten der in mütterlichen Bauchhöhlen wachsenden Menschenarten, verbunden mit der Hoffnung der Wiedergeburt durch die MUTTER. Hier findet die Rückbindung innerhalb des Lebenskreislaufes statt, die Wandlung des Todes in neues Leben. Sehr interessant ist hierbei, dass das Wort Religion bis heute genau diese ursprüngliche mütterliche Bindung widergibt.
RELIGARE: Der Ursprung von Religion: Anbinden, Losbinden, Zurückbinden
„Das lateinische Verb „Religare“, das die Wurzel von Religion widergibt, wird nicht zufällig übersetzt mit: Anbinden, Losbinden und Zurückbinden. Tatsächlich weist diese Bedeutung deutlich darauf hin, dass es bei Religion ursprünglich um Bindung ging. Die Bindung an die Mutter und die Bindung an die matrilineare Blutsfamilie durch einen mütterlichen Wiedergeburtsglauben, denn die engste körperliche Bindung, die Menschen im Leben jemals haben, ist nicht der Sexualkontakt zwischen Mann und Frau, sondern der zwischen Mutter und Kind im Mutterleib. Diese Bindung beruht auf der blutpulsierten Nabelschnur, die schon früh durch die Schlange symbolisiert wird. Das Neugeborene kommt an der Nabelschnur angebunden auf die Welt. Um dort ein eigenständiges Leben zu führen, muss es von der Mutter losgebunden werden. Im Zurückbinden innerhalb des matrifokalen Lebensverständnisses schließt sich der Kreis: Der Tod wandelt sich in neues Leben.
Versteht man die eigentliche Bedeutung von Religion als Anbindung an das Leben, das durch die Mutter geschaffen, geboren und genährt und nach dem Tod auch wieder in neues Leben verwandelt wird, dann wundert es auch nicht mehr, warum im Zeitraum von 500 000 Jahren menschlicher Kulturgeschichte auch die ersten Urmutterfigurinen auftauchen, die, da sie Ausdruck von Religion sind, – Gott MUTTER darstellen.
2. Höhlenbestattungen verschiedener Menschenarten und erste Gott MUTTER Darstellungen in der Menschheitsgeschichte
Spanien:
Mulier-Homo antecessor
Südafrika:
Mulier-Homo naledi
335.000 bis 236.000 Jahre alte menschliche Begräbnisstätte in der Dinaledi Höhle und der benachbarten Rising Star Höhle mit der neuesten Datierung nach der Uran-Thorium Methode, ursprüngliche Datierung 2,5 Millionen Jahre alt, 50 km entfernt von Johannesburg
Marokko:
Mulier-homo sapiens
300.000 Jahre alte menschliche Fossilien aus der Höhle von Jebel Irhoud, 100 km westlich von Marrakesch (Begräbnisstätte?)
500.000 bis 300.000 Jahre alte Gott MUTTER Darstellung von Tan-Tan in Marokko mit rotem Ocker
Israel:
Mulier-homo sapiens
194.000 bis 177.000 Jahre alte menschliche Fossilien aus der Misliya-Höhle, Berg Karmel (Begräbnisstätte?)
100.000 Jahre altes, in der Literatur oft als ältestes Grab bezeichnete Begräbnisstätte aus der Höhle von Qafzeh bei Nazareth
280.000 bis 250 000 Jahre alte Gott MUTTER Darstellung von Berekhat Ram aus rotem Tuffstein
Frankreich:
Mulier-homo neanderthalensis
120.000 bis 40.000 Jahre (Moustérien) alte Fossilienfunde aus dem Abri La Ferrassie, die als älteste Neanderthalerinnenbestattung gelten.
Abri la Ferrassie ist berühmt für seine Vulvaritzzeichnungen, die allerdings bisher Mulier-Homo sapiens aus dem Aurignacien zugeordnet werden.
Spanien:
Mulier-Homo neanderthalensis
50.000 v.u.Z.: Bestattungsbeigabe von perforierten Muscheln (Pecten maximus = Jacobsmuschel) von Mulier-Homo neanderthalensis in der Höhle (Cueva) Antón in Mula bei Murcia
Deutschland:
Mulier-Homo sapiens
40.000 v.u.Z. Gott-MUTTER Darstellung vom Hohle Fels, Schelklingen, Schwäbische Alb
18.600 v.u.Z.: Älteste Bestattung in Deutschland in der Mittleren Klausenhöhle bei Essing (Cro Magnon), Altmühltal, Bayern: Der circa 30-jährige Tote war in eine dicke Schicht Rötel gehüllt
Literaturverzeichnis
Armbruster, Kirsten: Der Jacobsweg – Kriegspfad eines Maurentöters oder Muschelweg durch Mutterland? Die Wiederentdeckung der Wurzeln Europas – Teil 1, 2013
Armbruster, Kirsten: Der Muschelweg – Auf den Spuren von Gott der MUTTER; Die Wiederentdeckung der matrifokalen Wurzeln Europas; 2014
Bahnsen, Ulrich: Anthropologie: Erster! ZEIT Nr. 24/2017, www.zeit.de
Die Evolution des Menschen: Qafzeh – Israel: https://www.evolution-mensch.de/Fundort/Qafzeh.html
Dirks, Paul et al.: The age of Homo naledi and assoziated sediments in the Rising Star Cave, South Africa in eLife, 2017, 6
Greshko, Michael: World´s Oldest Cave Art Found – And Neanderthals Made it: https://news.nationalgeographic.com/2018/2/neanderthals-cave-art-humans-evolution-science Grolle, Johann: Der SPIEGEL, Nr. 43, 21.10.2013, S. 118 – 121
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie: Homo naledi – ein neuer Verwandter des modernen Menschen, Leipzig, 2003 – 2018
Patalong, Frank: Kreative Neandertaler; SPIEGEL ONLINE, 22.2.2018
Planeterde – Welt der Geowissenschaften: Frühe Menschen am Berg Karmel; 25.1.2018 Stang, Michael: In der Höhle der Menschenartigen, Deutschlandfunk 24; 25.12.2014