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Warum der Storch bis heute die Kinder bringt

Kirsten Armbruster

Weiß­storch (Bild: Krzy­sz­tof Kin; Crea­ti­ve Com­mons Attri­bu­ti­on-Share Ali­ke 3.0 Unpor­ted licen­se; Wiki­me­dia Commons)

Der Storch bringt bis heu­te die Kin­der. Die­se Bin­sen­weis­heit weiß wirk­lich jedes Kind!

War­um aus­ge­rech­net der Storch? Aber wir wur­den ja im Lau­fe der Jah­re schnell auf­ge­klärt. Das ist nur ein Ammen­mär­chen. Papa und Mama machen die Kin­der, erfuh­ren wir schnell, wobei Papa macht und die Mama? Sie trägt das, was der Papa gemacht hat, aus. Und weil die Papas alle die gro­ßen Macher waren, beka­men sie für ihre gro­ße Leis­tung Geld. Geld und Aner­ken­nung. Sie waren die Hel­den aller Krie­ge, sie waren die Chefs. Geschich­te exis­tier­te nur um den Mythos Mann her­um, der glor­reich von einer Schlacht zur nächs­ten eil­te. Und natür­lich war auch Gott ein Mann, ein Vater. Wie hät­te auch eine Mama, die sich unun­ter­bro­chen um den Papa dreh­te, selbst wenn er nicht all­tags­exis­tent war, etwas selbst machen sol­len, sozu­sa­gen aus sich selbst her­aus? In fast allen Mär­chen wird uns schließ­lich erzählt, dass die Prin­zes­sin auf den Prin­zen war­tet, den Mär­chen­prin­zen, der sie erlöst. Wovon? Von der bösen Stief­mut­ter. Weil in einem Mär­chen sind fast alle rich­ti­gen Müt­ter abhan­den­ge­kom­men. Rot wie Blut – Weiß wie Schnee – Schwarz wie Eben­holz, die­se Far­ben fin­den wir nicht nur im Mär­chen, son­dern auch beim Storch. Rät­sel gelöst!

Es war ein­mal eine Zeit, wo die wirk­li­chen Müt­ter exis­tier­ten, die Müt­ter, die die Mache­rin­nen waren, die Wil­den Müt­ter, die sich ihrer Seins­macht bewusst waren, denn Macht ist ein fast ver­ges­se­nes Wort für Schei­de. Muschel­macht. Ewig währ­te die Zeit der Wil­den Müt­ter, die aus sich selbst her­aus etwas mach­ten und natür­lich tref­fen wir sie auch heu­te noch, die Wil­den Müt­ter, fast begra­ben unter dem Kriegs­schutt der patri­ar­cha­len Gehirn­wä­sche. Aber sie leben noch, die Wil­den Dra­chen­müt­ter. Und ihr Wis­sen ist uralt. Es steigt aus den Höh­len der Erd­bauch­mut­ter empor. Es flüs­tert in den Was­sern der Quel­len. Es knis­tert in den Flam­men des Feu­ers. Und es fliegt wie der Sturm mit dem gro­ßen Wagen der Bären­mut­ter am Ster­nen­him­mel ent­lang. Es zeigt sich mor­gens, wenn Frau Son­ne rot aus der Erd­bauch­höh­le hin­auf­steigt, den Tag mit ihrem Wei­ßen Licht erhellt und abends im Wes­ten rot­glü­hend in die Schwär­ze der Erd­bauch­höh­le zurück­sinkt. Und es zeigt sich auch des Nachts, wenn Frau Mond uns jeden Monat die zykli­sche Geschich­te der gött­li­chen Mut­ter, die Geschich­te von Gott der MUTTER an den Him­mel malt. Erin­nern wir uns wie­der an das Bauch­höh­len­wis­sen unse­rer Ahninnen?

Es war ein­mal eine Zeit, da stan­den die Müt­ter im Zen­trum der Gemein­schaft und das Gött­li­che war müt­ter­lich. Damit die Men­schen nach dem Tod durch das Magi­sche Wir­ken der Gro­ßen Tod-in-Leben­wand­le­rin, nabel­ge­nährt und durch die Muschel­vul­va einer Men­schen­mut­ter wie­der­ge­bo­ren wer­den konn­ten, leg­te man sie in Rich­tung Osten in Höh­len, bestäubt mit rotem Ocker und geschmückt mit Muscheln als Tor zur Welt. Die­ses Natur­wis­sen war ihre Reli­gi­on, ihre Anbin­dung an das Leben, denn reli­ga­re heißt, anbin­den, los­bin­den und zurück­bin­den. Dahin­ter stand das All­tags­wis­sen: der Mensch kommt ange­bun­den an der Nabel­schnur der Mut­ter zur Welt. Um leben zu kön­nen, muss der Mensch von der Nabel­schnur los­ge­bun­den wer­den. Um in der müt­ter­li­chen Ahn­in­nen­rei­he wie­der­ge­bo­ren wer­den zu kön­nen, muss­te eine Rück­bin­dung statt­fin­den. Das Tor dazu war die Muschel, die Vul­va­mu­schel der Frau.

Auch heu­te noch wird der größ­te Teil Euro­pas durch­zo­gen vom Muschel­weg. Zu Recht ist der Muschel­weg der ers­te euro­päi­sche Kul­tur­weg. Und der Muschel­weg erzählt die Geschich­te der Frau­en, die Geschich­te der Müt­ter aus der ewi­gen Zeit. Der Jacob, der schein­bar dar­über­liegt, ist in Wahr­heit nur ein Fake! Wie übri­gens sämt­li­che Theo­lo­gien der heu­ti­gen Zeit, die alle den Mann ins Zen­trum des Lebens stel­len und sich Welt­re­li­gio­nen nen­nen, obwohl doch kein Mann über die für Reli­gi­on not­wen­di­ge lebens­spen­den­de Nabel­schnur und die Vul­va­mu­schel der Mut­ter verfügt.

Heu­te durch­bli­cken wir wie­der die Gehirn­wä­sche des Patri­ar­chats. Wir haben uns unse­re Kul­tur­ge­schich­te zurück­ge­holt. Wir kön­nen wie­der Theo­lo­gie und Reli­gi­on unter­schei­den. Wir wis­sen, dass die Frau von Natur aus die Akti­ve ist, wer­den doch die Mito­chon­dri­en, die Kraft­wer­ke jeder Zel­le nur matri­li­ne­ar, über die Mut­ter­li­nie ver­erbt. Wir wis­sen, dass der Vater nicht im Zen­trum des Lebens steht. Wir wis­sen, dass es den Mär­chen­prin­zen nicht gibt und wir ihn auch nicht brau­chen, wenn wir wie­der ler­nen von einer matrif­o­ka­len Sip­pe aus zu den­ken. Wir wis­sen, dass die Wil­den Frau­en im matrif­o­ka­len Kol­lek­tiv immer öko­no­misch unab­hän­gig waren. Aber wir wis­sen auch, dass die­se Öko­no­mie nie im Wider­spruch zu ihrer Müt­ter­lich­keit stand, anders als heu­te, wo Müt­ter sich in ein von iso­lier­ten Män­ner­räu­men kon­zi­pier­tes, öko­no­mi­sches Sys­tem ein­zwän­gen las­sen sol­len, das in der gegen­wär­ti­gen Form mit jeder Müt­ter­lich­keit kol­li­diert. Wir wis­sen heu­te, dass es nicht einer Vater-Mut­ter-Kind-Klein­fa­mi­lie bedarf, um sta­bil-bin­den­de und ver­läss­li­che Lebens­ver­hält­nis­se für die nächs­te Gene­ra­ti­on zu garan­tie­ren, son­dern dass es eines sta­bi­len Groß­mutter-Mut­ter-Schwes­tern-Brü­der-Onkel-Clans bedarf, in den väter­taug­li­che Väter inte­griert wer­den kön­nen, mit der Beto­nung auf väter­taug­lich. Das ist die Basis. Ergänzt wer­den kann die­se matrif­o­ka­le Lebens­ba­sis durch außer­fa­mi­liä­re Betreu­ung. Ergänzt, aber eben nicht ersetzt. Wir wis­sen wie­der. Und das ist schlecht für das Patri­ar­chat, aber es ist gut für das Leben.