Ich habe großes Interesse daran, das Patriarchat in seinen Verflechtungen zu durchschauen und die Erkenntnisse der Interdisziplinären Patriarchatskritikforschung in verständlicher Form breit zu streuen, weil ich der Überzeugung bin, dass das Patriarchat unsere Lebensgrundlagen zerstört: sowohl seelisch beim einzelnen Menschen, als auch materiell, als auch gesamtgesellschaftlich, als auch politisch, als auch ökologisch. Wir alle sind patriarchal sozialisiert. Daher empfinden wir oft etwas als normal, natürlich oder selbstbestimmt und frei, was es in Wahrheit gar nicht ist.
Ein zentrales Ziel patriarchaler Machtübernahme, Instrumentalisierung und Zerstörung ist die freie weibliche Sexualität
Patriarchat heißt Vaterherrschaft. Diese Form der gewalttätigen, hierarchischen Herrschaft existiert nur einen Wimpernschlag unserer Gesamtexistenz auf diesem Planeten, nämlich ca. 6.500 Jahre. Diese wenigen tausend Jahre haben gereicht, uns und unsere Erde an den Rand unserer Zerstörung und Auslöschung zu führen. Das Patriarchat fußt in der Erkenntnis und – wie ich es nenne – Erfindung von Vaterschaft im Rahmen der Viehzucht und daraus folgend in einer maßlosen Überschätzung der männlichen Rolle bei der Fortpflanzung. Um den Vater als zentralen Herrscher und Schöpfer zu installieren, wurde die ursprüngliche naturverbundene und über viele tausende von Jahren verehrte Muttergottheit mythologisch entthront und ermordet und/oder theologisch überschrieben. Ursprüngliche mütterliche Symbole wurden väterlich adaptiert und entfremdet. Die schlichte und für jeden erfahrbare Tatsache, dass das Leben durch eine Mutter und einen Mutterkörper auf die Welt kommt, wurde durch einen Glauben überschrieben, dass der Gott Vater Schöpfer und Lebensbringer sei. Dieser Glaube ist eine Ideologie. Er ist nicht real erfahrbar. Daher muss diese Ideologie mit Gewalt geschützt und infiltriert werden und darf nicht hinterfragt werden. Natürlich ist das hier nur ein Kurzabriss der Patriarchatsgeschichte. Bei Interesse an weiteren Hintergründen, verweise ich z.B. auf die Literatur.
Das Patriarchat zielt zentral darauf, die Mutter vollständig überflüssig zu machen, weil die Mutter in ihrer Eigenmacht, Leben auf die Welt zu bringen, die Macht des Patriarchen konstant in Frage stellt. Ohne Frau kann bisher kein Mann ein Kind bekommen. Ohne Mann kann eine Frau mit nur einem Becher Sperma ein Kind bekommen. Der Vater als Patriarch braucht Kinder – und davon möglichst viele -, um seine Macht zu sichern. Um Kinder zu bekommen, muss er sich eine Frau sichern und über ihre Sexualität verfügen. Weil: Ein Vater kann nie 100% sicher sein, dass die Kinder, die eine Frau gebiert seine Kinder sind. Eine Mutter weiß dagegen immer, wer ihre Kinder sind. Daher muss die Sexualität der Frau im Patriarchat vom Mann kontrolliert werden.
Unsere ursprüngliche, sexuelle Biologie und Soziologie ist die Female Choice
Unsere ursprüngliche, sexuelle Biologie und Soziologie ist die Female Choice. Das bedeutet: Die Frau wählt frei, mit wem sie Sex hat, wie oft sie Sex hat und auch wie viele Kinder sie bekommt (oder vielleicht sogar gar keine). Nur die Frau verfügt über ein Organ, das nur der sexuellen Lust dient – die Klitoris. Dieses Lustorgan ist sehr potent. Es kann der Frau viele Orgasmen hintereinander bescheren. Von daher: Die Natur hat der Frau die Freude am Sex in die Wiege gelegt. Und natürlich sucht eine Frau sich – wenn sie wirklich die Wahl hat – mit dieser Ausstattung Menschen als Sexualpartner, die mit ihr diese Freude teilen und ihre sexuelle Freude anregen. Die Klitoris dient in erster Linie nur der Lust der Frau und ihrer Freude am Sex. Eine Schwangerschaft KANN durch Sex entstehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau schwanger wird, ist aber nur an wenigen Tagen im Monat gegeben und selbst eine befruchtete Eizelle garantiert noch nicht, dass wirklich ein Kind geboren wird. Insofern: Frauen haben schlicht erst einmal von ihrer natürlichen Anlage her völlig zweckfrei gern Sex, weil es ihnen Spaß macht.
Gleichzeitig hat die sexuell freie und unabhängige Wahl der Frau bei der Wahl ihrer Sexualpartner auch Sinn für den Fortbestand und die Entwicklung der Menschheit. Dass die Frau mit vielen Männern Sex hat, die sie selbst frei wählt, fördert die genetische Vielfalt und sichert damit das Überleben und die Fortentwicklung der Menschheit insgesamt. Dass sie selbst bestimmt, wieviele Kinder sie bekommt, schützt vor Überbevölkerung. Dass sie ursprünglich eingebettet in eine Muttersippe mit über die Mutterlinie blutsverwandten Frauen und Männern lebte und Kinder bekam, sicherte die optimale Betreuung und Versorgung aller ohne Überforderung einer vereinzelten Mutter in einer vaterzentrierten Kleinfamilie. Dass in diesem Lebenszusammenhang auch der Großmutter als Mutter der Mutter und als Unterstützerin bei der sehr langen Kindheit des Menschen eine besondere Bedeutung zukam, hat u.a. Sarah Blaffer-Hrdy nachgewiesen.
Was bedeutet all das für das Thema Prostitution?
Im Patriarchat ist die Sexualität und Befriedigung des Mannes zentral. Sehr früh schon werden Mädchen im Patriarchat auf Gefälligkeit und Verfügbarkeit für Männer ausgerichtet (um nicht zu sagen zugerichtet). Sich selbst zurückzustellen – vor allem das eigene Begehren, die eigene Sexualität – gilt für Mädchen als gutes Benehmen. Sexualität als Mädchen und Frau frei auszuleben ist verrufen und leider sogar gefährlich. Mädchen wird vermittelt, dass sie aufpassen müssen, nicht mit den falschen Jungen und Männern mitzugehen, dass sie sich vor einer Schwangerschaft in Acht nehmen müssen und dass sie es nicht übertreiben sollen. Wenn sie schwanger werden oder wenn sie vergewaltigt werden, sind sie in den Augen der Gesellschaft selbst dafür verantwortlich – gerade wenn sie sich sexuell ausleben. Zugang zu einem Wissen über ihren Körper, Zugang zu Verhütung oder gar Abtreibung ist erschwert bis unmöglich. Ihr Körper – speziell ihre Vulva und Vagina und ihre Menstruation – gelten in weiten Kreisen nach wie vor als Tabu und werden verschämt totgeschwiegen bis als eklig hingestellt. Der normale, nackte weibliche Körper gilt als anstößig – besonders die weibliche Brust – während gleichzeitig eine Hypersexualisierung in Form von Porn- und Rape-Culture in öffentlichen Räumen stattfindet.
Die Frau hat sich also als optimierter Körper für den männlichen, häufig durch Porno geprägten Blick zur Verfügung zu halten. Der Mann und der Vater bestimmen überwiegend, was moralisch zulässig ist. Was die Frau als potenzielle Sexpartnerin darf, darf die Tochter zum Beispiel noch lange nicht. Die Frau als Sexpartnerin hat wiederum eine andere Ebene, als die Frau, die der Mann als Lebenspartnerin und Mutter seiner Kinder wählt. Am liebsten hat der Mann natürlich eine Frau, die alle drei Bereiche abdeckt, in Personalunion. Allerdings sollte diese Frau dann tatsächlich nur ihm als Besitz zur Verfügung stehen. Die Wahrnehmung der Frau als Besitz des Mannes wird besonders tragisch sichtbar durch Femizide nach Trennungen, die überwiegend von den Frauen ausgehen.
Prostitution ist eine logische Folge von Patriarchat
Prostitution ist eine logische Folge von Patriarchat – eine logische Folge der Unterdrückung und Instrumentalisierung der freien, weiblichen Sexualität im Sinne des Mannes und Vaters. Daher ist Prostitution auch mitnichten das älteste Gewerbe der Welt, sondern die Hebammerei. Prostitution ist von Beginn an eine gewaltsame Besitzname von Frauen und ihren Körpern.
Theologische Dogmen zwingen Mann und Frau in das dysfunktionale Ideal der Kleinfamilie, in dem idealerweise nur das Ehepaar Sex miteinander hat, damit garantiert ist, dass die Kinder, die die Frau gebiert, die Kinder des Ehemannes sind. Diese Beschränkung der Sexualität führen zum einen dazu, dass die sexuelle Lust der Frau früher oder später einschläft, weil ihre Veranlagung ist, dass sie eben nicht nur mit einem Mann lebenslang Sex hat. Der Mann ist wiederum durch die Lustlosigkeit der Frau sexuell frustriert und fühlt sich berechtigt, seine sexuellen Gelüste anderweitig auszuleben – entweder durch Fremdgehen oder durch den Kauf eines Frauenkörpers als Freier. Im Patriarchat wird er darin durch den Mythos unterstützt, es sei männlich, ständig Lust auf Sex zu haben und er habe ein Recht darauf, sich sexuell mit vielen Frauen auszuleben. Die Frau wiederum, die sexuell gelangweilt ist, wird im Patriarchat gemaßregelt, es sei unweiblich, Lust auf andere Menschen zu empfinden und es sei moralisch verwerflich, diese Gelüste auszuleben. Als weiblich gilt es im Patriarchat, generell eher wenig Lust auf Sex zu haben, mehr Interesse an Liebe und einer festen Bindung zu einem Mann zu haben und sich um die Kinder zu kümmern, weil das natürlich sei (siehe oben: ist es nicht).
Prostitution ist an der Befriedigung des Mannes ausgerichtet
Die Prostitution ermöglicht überwiegend Männern als Freier, sich eine Frau zu kaufen, die das tut, was IHNEN sexuell gefällt. Prostitution ist zentral an der Sexualität und Befriedigung des Mannes ausgerichtet. Selbst Edel-Escorts richten ihre Dienstleistung selbstverständlich am Mann aus, der sie für ihren Dienst bezahlt. Die freie Wahl, die eine Prostituierte hat, beschränkt sich darauf, einen Freier evtl. abzulehnen und der Begegnung einen einigermaßen sicheren Rahmen zu geben. Es ist hier aber nicht die Frau, die initiativ den Mann wählt, um mit ihm Sex zu haben und es ist auch nicht die sexuelle Befriedigung der Frau zentral in der Prostitution, sondern eben die sexuelle und oft auch emotionale Befriedigung des Mannes. Damit torpediert Prostitution die echte freie, weibliche, sexuelle Selbstbestimmung, die uns als Female Choice in die Wiege gelegt wurde. Es mag sogar sein, dass Frauen, die sich prostituieren, dabei Lust empfinden. Das widerspricht aber nicht dem oben gesagten. Im Patriarchat sind Frauen stattdessen von Kindheit an so zugerichtet, dass ihnen das Lust macht, was dem Mann Lust macht. Sehr viele Frauen haben daher überhaupt keinen Zugang zu ihrer ureigenen Lust und entdecken sie – wenn überhaupt – oft erst sehr spät. Das ist übrigens auch ein Grund, warum heutige Bestrebungen, polyamor zu leben, oft eher dem Mann zugute kommen, als der Frau. Unsere Sozialisation im Patriarchat wirft uns immer wieder darauf zurück, unsere eigene Lust und ihre Befriedigung zurückzustellen.
Freie, weibliche Sexualität ist frei von wirtschaftlichen Zwängen
Echte freie, weibliche Sexualität in Form von Female Choice ist tatsächlich frei und in keinster Weise von wirtschaftlichen Zwängen bestimmt. Daher ist die ursprüngliche Female Choice auch nicht in eine Kleinfamilie eingebettet und auf das Ehepaar beschränkt. Unsere ursprüngliche Soziologie ist das Leben in einer verlässlichen, blutsverwandten Muttersippe, zu der nicht-blutsverwandte Männer nur hinzustoßen. Sexualität ist hier weder durch Ehe gemaßregelt, in der die Frau der Besitz des Mannes ist, noch durch kapitalistische Rahmenbedingungen, in der die Frau eine käufliche Ware ist. Außerdem ist Sexualität ursprünglich völlig losgelöst von einem Bewusstsein von Fortpflanzung und wird daher überwiegend aus reiner Lust betrieben. Die freie, weibliche Sexualität, die – wie Gabriele Uhlmann betont – unser Menschenrecht ist, unterliegt absolut keinem Zwang. Das ist für uns heute kaum vorstellbar und wird auch überwiegend nicht gelebt. Darüberhinaus ist in unserer ursprünglich nicht-hierarchischen matrifokalen (mutterzentrierten) Lebensweise Gewalt so gut wie nicht existent, weil nicht nötig. Gewalt gegen Frauen wird durch die mit der Frau blutsverwandten Sippe verhindert. Das Überleben wird überwiegend über Kooperation und Empathie gesichert. Hätten wir uns den überwiegenden Teil unserer Existenz so bekriegt und Frauen so erniedrigend behandelt wie wir das seit 6.500 Jahren tun, wären wir schon lange nicht mehr hier.
Daher können wir das Patriarchat nur erfolgreich bekämpfen, wenn wir mit all unseren Kräften das Bewusstsein bekämpfen, Frauen seien Besitz und/oder verfügbare Ware. Das Patriarchat bekämpfen wir nur, wenn wir Frauen und Mütter und ihre echte, sexuelle Selbstbestimmung – frei von jeglichem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und moralischen Zwang – wieder in die Mitte der Gesellschaft stellen.